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Russlands Öl-Reichtum im Westen unerklärlich

»Abiotische« Theorie vermutet gewaltige Lagerstätten

Von Rolf Dressler
Moskau/Washington (WB). Wie lange vor allem die Öl- und Gas-Vorkommen reichen, darüber streiten die »Gelehrten«. Im hoch industrialisierten Westen folgt man nach wie vor der herkömmlichen Geologen-Denkschule, wonach die Vorräte schon in näherer Zukunft aufgebraucht sein werden.

Ganz anders der Erdöl- und Gas-Gigant Russland: Er setzt darauf, dass tiefer im Erdinnern noch unermesslich große Öl- und Erdgaslager erschlossen werden können.
Vor diesem Hintergrund erklären sich die außerordentlich aufwendigen technologischen Anstrengungen der russischen Energie-Konzerne, die in Wladimir Putins »aufgeklärter Diktatur« inzwischen durchweg (wieder) unter staatlicher oder zumindest halbstaatlicher Regie stehen.
Die Kreml-Führung will Russland, das an Bodenschätzen mit Abstand reichste Land der Erde, dauerhaft zur absoluten Welt-Spitzenmacht ausbauen - und das nicht nur energiepolitisch, sondern darüber hinaus.
Angespornt sieht sich Russland durch heimische Geologen und Geophysiker vor allem auch der Russischen Akademie der Wissenschaften. Sie sind davon überzeugt, dass insbesondere Öl, das Schwarze Gold, und Erdgas keine Verbindung zu jenen biologischen Substanzen haben, die sich nahe der Erdoberfläche bilden; es seien vielmehr Urstoffe, die im Verlauf der Erdgeschichte aus großen Tiefen bis in die Erdrinde hochgedrückt werden.
Die sogenannte »abiotische« Theorie ist das genaue Gegenteil der traditionellen Lesart westlicher Wissenschaft vom »biologischen Ursprung« der vermeintlich nur begrenzt verfügbaren Welt-Ölvorkommen aus Überbleibseln fossiler Tiere und Pflanzen.
Diese Annahme sei aber falsch, sagen die russischen Fachleute. Die Erdölvorkommen würden lediglich begrenzt durch die Menge anorganischer Kohlenwasserstoff-Bestandteile, die zum Zeitpunkt der Erdentstehung tief im Innern der Erde lagerten. Öl bilde sich dort bei sehr hohen Hitzegraden und unter extrem hohem Druck ähnlich jenem, der erforderlich ist, um Diamanten entstehen zu lassen.
Es komme nur darauf an, entsprechende Technologien und Fördertechniken anzuwenden. Über ultratiefe Bohrschächte könne man Erdöl und Erdgas sogar in den ganz tiefen Schichten des Erdinneren erschließen.
Schon seit längerem untermauern die Russen ihre »abiotische« Theorie vielfach in der Praxis:
- Allein in weit abgelegenen, unwirtlichen Gegenden Sibiriens entdeckten sie bei Tiefenbohrungen in kristallinem Sockelgestein auf einen Schlag elf Ölfelder der Kategorie »Major« mit einem Umfang von 100 Millionen Barrel und eines der Kategorie »Giant« mit mehr als 500 Millionen Barrel (ein Barrel sind 159 Liter).
- Dem besonders energiearmen Vietnam halfen russische Spezialisten wirtschaftlich auch da- durch wieder auf die Beine, dass sie im dortigen Erdölfeld »Weißer Tiger« in Basaltgestein in 5300 Meter Tiefe fündig wurden und damit eine Tagesförderung von gut 6000 Barrel ermöglichten.
Diese geballte Offensive von Forschung und Förderung führte Russland bereits Ende der 1980er Jahre - also noch vor dem Zusammenbruch des sowjet-kommunistischen Großreiches - an die Weltspitze aller Erdöl-Länder. Aber erstaunlicherweise nur sehr wenige Sachkenner in den westlichen Industrie- und Energie-Großverbraucher-Staaten machten sich Gedanken über die möglichen und tatsächlichen Gründe dieses rasanten Aufstiegs.Leitartikel

Artikel vom 13.01.2007