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Betrug beim »Idiotentest«

1500 türkische Autofahrer unter Verdacht - Dolmetscher vor Gericht

Von Christian Althoff
Bochum (WB). Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt bundesweit gegen 1500 Türken. Sie sollen sich ihre Führerscheine mit Hilfe eines betrügerischen Dolmetschers wiederbesorgt haben, nachdem ihnen die Papiere wegen Alkoholfahrten abgenommen worden waren.

»Neben einer Bestrafung droht den Beschuldigten jetzt der Entzug ihrer Fahrerlaubnis«, sagte gestern Stephanie Koch von der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität. Sie ermittelt in einem der umfangreichsten Betrugsverfahren der letzten Jahre und hat bereits den Haupttäter Ali S. aus Düsseldorf angeklagt, der sich seit dem Sommer 2006 vor dem Landgericht Bochum verantwortet.
104 000 Autofahrer mussten 2005 in Deutschland zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), weil ihnen der Führerschein abgenommen worden war - wegen Alkohols (61 Prozent), Drogen (17 Prozent) oder anderer Ursachen. 36 Prozent scheiterten bei dem Test.
Unter der Überschrift »Idiotentest - MPU« hatte Dolmetscher Ali S. Anzeigen in türkischen Zeitungen aufgegeben. Landsleuten, die ihren Führerschein wegen Alkohols oder Drogen verloren hatten, garantierte der Türke für 1500 Euro die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis. Die gesetzlich geregelte MPU-Gebühr (zwischen 383 und 724 Euro) mussten die Probanden außerdem noch tragen.
Der Trick war simpel: Selbst Türken, die fließend deutsch sprechen, begleitete Ali S. als Dolmetscher zum TÜV oder zu anderen Organisationen, bei denen die MPU stattfand. Die Staatsanwältin: »Wenn der Psychologe eine Frage etwa zum Alkoholkonsum stellte, unterhielt sich der Dolmetscher mit dem Probanden auf türkisch über Gott und die Welt und beantwortete dann selbständig die Frage des Gutachters. Ali S. wusste aufgrund seiner Erfahrung mehrerer tausend MPUs, was die Psychologen hören wollten.« Zudem soll Ali S. seinen Kunden gefälschte Bescheinigungen über Alkohol-Therapien und Drogen-Screenings besorgt haben.
Ali S. gab nicht nur Zeitungsanzeigen auf. Er hatte das Bundesgebiet zudem in zahlreiche Zonen aufgeteilt, in denen jeweils ein Vermittler saß, der ihm Kunden besorgte und dafür zehn Prozent Provision erhielt. »Auch in Ostwestfalen-Lippe haben sich viele Türken ihren Führerschein illegal wiederbesorgt«, sagte Staatsanwältin Koch. Bielefeld sei ein Schwerpunkt gewesen, aber auch in Paderborn gebe es Beschuldigte.
Bundesweit hat Stephanie Koch 8000 Türken ermittelt, die ihren Führerschein mit Hilfe von Ali S. zurückbekommen haben, in 1500 Fällen kann sie bisher illegale Machenschaften nachweisen. Auch gegen die Geschäftsführer mehrerer MPU-Stellen will die Frau vorgehen - wegen Bestechlichkeit. »Ich gehe davon aus, dass einige beide Augen zugedrückt haben, wenn Ali S. mit seinen Probanden erschien. Denn der Türke hat den MPU-Stellen reichlich Umsatz beschert.«
Als landesweite Aufsichtsbehörde über die Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstellen hat die Bezirksregierung Münster inzwischen entschieden, dass die Probanden eine neue MPU auf eigene Kosten vorlegen müssen.

Artikel vom 12.01.2007