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Auch Umweltfaktoren bedingen das Sein

Uni: Verhaltensforscher arbeiten mit Zebrafinken

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Gemeinsame Merkmale von Vater und Sohn oder ein ähnliches Verhalten müssen nicht unbedingt genetisch begründet sein. »Gemeinsamkeiten werden auch durch die gemeinsame Umwelt bedingt«, sagt der Biologe Privatdozent Dr. Marc Naguib. Dass die Umstände, in denen Lebewesen heranwachsen, sie programmieren, hat er mit seinen Forschungen an Zebrafinken bewiesen.

Mit 300 dieser Singvögel, die eigentlich in Australien heimisch sind, arbeitet der Verhaltensforscher in der Universität. »Wir wollen die Auswirkungen wechselnder Aufzuchtbedingungen auf verschiedene Merkmale im späteren Leben untersuchen«, erklärt er. Deshalb werden manche der Vögel gefüttert, andere hingegen mit proteinreicher Nahrung regelrecht verwöhnt. Zudem wird auch die Familiengröße experimentell geändert und damit eine weitere Umweltbedingung. Beide Einflüsse wirken sich aus auf die Partnerwahl der Vögel.
Ein Kriterium ist für die Zebrafinkenweibchen sein Gesang: Je schöner, desto eher wird er erhört. Allerdings: »Den Gesang lernt das Männchen im zweiten Lebensmonat. Er spiegelt also nicht seinen momentanen Zustand und sagt nichts über die Qualität der Gene«, sagt Naguib. Wie fit der Auserwählte ist, verrät eher sein Gefieder - ein zweites Kriterium für Sie.
Sicher ist, dass Tiere, die unter guten Bedingungen aufwachsen und keinen Nahrungsstress erfahren, sich in vielen Merkmalen besser entwickeln und auch ein regeres Gehirn haben. Weibchen, denen es schon in den ersten Lebensmonaten (mit den Kinder- und Jugendjahren des Menschen zu vergleichen) gut geht, sind auch als erwachsene Vögel anspruchsvoll und haben bei der Partnerwahl klare Präferenzen. »Sie können es sich erlauben, wählerisch zu sein«, erklärt Naguib.
Ebenso haben die Wissenschaftler erforscht, dass die Weibchen aus besserem Nest später mehr in ihre Nachkommen investieren und dass sie, ebenso wie die Finkendamen, die mit einem attraktiveren Männchen verpaart sind, Eier mit einem höherem Testosteron-Anteil legen. Das männliche Geschlechtshormon führt dazu, dass ihre Brut mehr bettelt und fordernder ist und die Jungtiere schneller wachsen. »Und diese Nachkommen haben ihrerseits wieder mehr und bessere Jungtiere«, verrät der Blick über die Generationen.
Dass die Umwelt auf die Physiologie Auswirkungen hat, haben Wissenschaftler auch beim Menschen beobachtet: »Wenn eine Frau während der Schwangerschaft unter schlechten Bedingungen lebt und die Kinder unter diesen Bedingungen heranwachsen, haben sie einen anderen Glukosestoffwechsel. Leben sie später in üppigen Verhältnissen, ist ihr Risiko, an Diabetes zu erkranken oder einen Herzinfarkt zu bekommen, größer. »Man kann diesen Effekt aber auch positiv formulieren: Das schlechte Aufwachsen programmiert die Lebewesen auf die optimale Anpassung an ihre Umwelt.
Gene, betont Naguib, geben den Rahmen vor. »Aber die komplexen Umwelteinflüsse haben einen enormen Einfluss auf Gehirnentwicklung und Physiologie.«
Allgemein ziehen Verhaltensforscher nicht gerne Analogieschlüsse vom Tier auf den Menschen - zumal der Mensch ein komplexeres Lebewesen ist und mehr Entscheidungsfreiheiten hat. Dennoch: »Die Mechanismen, wie sich Verhalten entwickelt, wie sich die Umwelt auf Merkmale auswirkt, lassen sich beschreiben und übertragen.« Am Tiermodell, so Naguib, lassen sich Prinzipien zeigen, die auch beim Menschen greifen.
Und Vögel sind ein beliebtes Forschungsobjekt für Verhaltensforscher, da man Umwelteffekte an ihnen gut testen kann: »Anders als bei Säugetieren gibt es keine physiologische Verbindung zwischen Mutter- und Jungtier.« Dass die nicht zu unterschätzen sind, haben Studien an Mäusen bewiesen: Männchen, die in der Gebärmutter zwischen zwei Schwestern lagen, verweiblichten, umgekehrt wurden Weibchen zwischen zwei Brüdern dominanter.

Artikel vom 12.01.2007