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Nur kluge und mutige Politik
kann soziale Systeme retten

Weder Zuwanderung noch Zuwachs erspart notwendige Korrekturen

Von Eberhard Hamer
Hannover (WB). Sozialpolitiker und Repräsentanten der Großwirtschaft behaupten seit Jahren, die schrumpfende deutsche Bevölkerung lasse den Wohlstand sinken. Dieser falsche Zusammenhang hat sich leider schon in viele Köpfe eingegraben, er stimmt aber nicht.
Wohlstand und Wachstum sind keine Frage der absoluten Bevölkerungszahl. Nur kluge und weitsichtige Weichenstellungen der Politik bescheren dem Einzelnen bessere und stabile Lebensverhältnisse.
Prof. Eberhard Hamer: »Keine Frage, der Wohlstand steigt.«
Erstens bezeichnet Wohlstand im Unterschied zum Einkommen die wirtschaftliche Versorgung mit Gütern. Wohlstand mit Häusern, Einrichtungen, Fabriken oder anderem haben wir längst produziert. Er ist also von der Bevölkerungszahl unabhängig vorhanden. Schrumpft aber die Bevölkerung, so verteilt sich der Wohlstand unseres Volkes auf weniger Köpfe, nimmt also der Wohlstand pro Kopf rechnerisch, sprich: anteilig sogar zu.
Also: Bei schrumpfender Bevölkerung und bereits erarbeitetem Wohlstand werden die Leute durchschnittlich wohlhabender statt ärmer. Zum Beispiel die »reichen Erben«, die mit dem von der vorigen Generation geschaffenen Wohlstand erheblich besser als ihre Erblasser leben können.
Zweitens stimmt der behauptete Zusammenhang zwischen Bevölkerungszahl und volkswirtschaftlicher Nachfrage nicht. Zwar kann eine größere Bevölkerung auch mehr Nachfrage für die Produktion bringen, muss es aber nicht. Denn auch eine kleinere Bevölkerung kann bei erhöhtem Wohlstand Zusatznachfrage entfalten. Die Nachfrage ist also eine Funktion des Einkommens und des Verbrauchs, nicht der Zahl der Köpfe.
Drittens bleibt das Argument der Erwerbstätigen. Es wird behauptet, eine sinkende Erwerbstätigenzahl sei eine Wachstumsbremse für unsere Wirtschaft, lasse also die Wirtschaft ebenfalls schrumpfen. Auch dies stimmt jedoch so nicht. Denn unser produktiver Sektor wird immer mehr automatisiert und kommt deshalb pro Stück mit immer weniger Arbeitskraft aus.
Hierin liegt ja gerade eine wesentliche Ursache der Massenarbeitslosigkeit. Wir haben mehr Erwerbstätige, als wir sogar für wachsende Produktion brauchen. Selbst der Dienstleistungssektor braucht durch Informationstechnologie und Elektronik relativ immer weniger Arbeitskräfte. Weniger Beschäftigte wären also nur dann eine Wachstumsbremse, wenn die Wirtschaft statisch bliebe, also keinen technischen Fortschritt und keinen Produktivitätsfortschritt zu verzeichnen hätte.
Besonders häufig muss, viertens, das Schrumpfen der deutschen Bevölkerung für den Beschwörungsruf nach stärkerer Zuwanderung herhalten. Diese nur quantitative Betrachtung ignoriert aber die viel wichtigere qualitative Seite. Zum 1. Januar 2007 bekamen beispielsweise 1,4 Millionen Roma und Sinti aus Rumänien Freizügigkeit in Richtung Westen. Diese, und viele andere Zuwanderer werden zwar die Bevölkerungsstatistik verbessern, nicht aber unsere Wirtschaft stärken, weil sie sich nicht in den Produktionsprozess eingliedern, sondern ihr individuelles, ungebundenes Gewerbe betreiben.
Ebenso fanden und finden Millionen unqualifizierte Zuwanderer und deren Nachkommen aus qualitativen Gründen (Ausbildung, berufliche Bildung etc.) keine Erwerbstätigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, werden also Dauersozialleistungsnehmer bleiben. Sie erhöhen zwar unsere Bevölkerungszahl, bleiben aber zugleich volkswirtschaftliche Dauerkosten, die von der Allgemeinheit aufgebracht werden müssen. Es kommt eben nicht auf die Zahl, sondern auf die Qualität der Zuwanderer an, also darauf, ob sie zum hiesigen Wirtschaftswachstum beitragen oder umgekehrt.
Probleme bereitet unsere Bevölkerungsstatistik mithin nur zwei staatlichen Sektoren: der unablässig weiter wachsenden Staatsverschuldung und der falsch konstruierten und immer stärker überdehnten Sozialsystemen.
Tatsächlich ergibt sich bei schrumpfender Bevölkerung und wachsender Staatsverschuldung eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung und dadurch (wegen der enormen Zins- und Amortisationskosten) ein Wohlstandsentzug aus dem Privatsektor.
Schuld an dieser Fehlentwicklung sind allein unsere Regierungen. Sie dürfen deshalb für ihre eigenen schwerwiegenden Versäumnisse und Fehlsteuerungen nicht die Bevölkerungsstruktur verantwortlich machen, denn diese verschärft allenfalls ihren Fehler - wenn nicht wieder eine verkappte Währungsreform wie die bei der Umstellung von der D-Mark auf den Euro die Schuldenlast des Staates relativ vermindert.
Unsere deutschen Sozialsysteme beruhen auf Umlageverfahren, in denen die Leistungsträger die Leistungsnehmer alimentieren. Wenn also die Zahl der Leistungsträger zurückgeht und deren Abgaben nicht mehr erhöht werden können, müssen die Sozialwohltaten der Leistungsnehmer zwangsläufig sinken. Vor allem vor dieser Konsequenz fürchten sich alle Politiker, weil sie inzwischen 41 Prozent der Haushalte mit Sozialleistungen »beglücken« und für sinkende Sozialleistungen politisch abgestraft und scheitern würden.
Beide hier genannten Gründe, das Versagen von Politik und Staat, haben indirekt mit schrumpfender Bevölkerung zu tun, wären in Wahrheit aber weder durch mehr Zuwanderung noch durch mehr eigene Kinder zu lösen, sondern nur von Politik und Staat selbst.

ĂŠAutor Professor Dr. Eberhard Hamer ist Mitbegründer und Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen in Hannover. Es hat sich seit 1975 zur Aufgabe gesetzt, Forschungsarbeit zum Selbstverständnis, zur Situation und zur Bedeutung des Mittelstandes in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten.

Artikel vom 08.03.2007