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»Johann war die Liebe meines Lebens«

Fanta-Mord bei BASF in Minden: Lebensgefährtin des Opfers spricht über ihren Verlust

Von Christian Althoff
Hiddenhausen (WB). Mehr als drei Wochen nach dem Fanta-Mord bei der BASF in Minden hat die Kripo noch keine brauchbare Spur von dem Täter, der in einem Aufenthaltsraum Zyanid in zwei Sprudelflaschen gefüllt hatte. Arbeiter Johann I. (44) hatte am 18. Dezember einen Schluck aus seiner Fanta-Flasche genommen und war qualvoll erstickt.

Ein Mehrfamilienhaus in Hiddenhausen im Kreis Herford. Auf dem Wohnzimmertisch von Anna B. (41) steht ein Foto, das sie in Umarmung mit Johann I. zeigt. Eine brennende Kerze und frische Blumen umrahmen das Bild. »Johann war die Liebe meines Lebens«, schluchzt die Frau und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Zehn Monate waren die beiden ein Paar - bis ein Mörder sieben Tage vor Weihnachten das Glück auslöschte.
Chemiearbeiter Johann I. lebte mit Sohn (20) und Tochter (19) in einem Einfamilienhaus, das er in Petershagen im Kreis Minden-Lübbecke gebaut hatte. Seine Ehefrau Olga (42) war vor zwei Jahren ausgezogen. Wie ein Arbeitskollege von Johann I. sagte, soll sie das tägliche Einmischen ihrer Schwiegermutter selbst in Kleinigkeiten des Familienlebens nicht länger ertragen haben.
Anna B. möchte sich nicht dazu äußern, warum die Ehe zerbrochen ist: »Das war lange, bevor Johann und ich uns kennengelernt haben«, sagt sie. Die ersten Kontakte liefen über das Internet, dann trafen sich beide, und nach sechs Wochen waren sie ein Paar. »Wir waren über beide Ohren verliebt«, lächelt die alleinerziehende Mutter, die zwei Söhne (8 und 15 Jahre) sowie eine Tochter (18) hat. Anna B. ist geschieden, ihr Mann lebt seit acht Jahren in Russland. Mit einer Halbtagsstelle in der Wäscherei der Lebenshilfe bringt die 41-Jährige ihre Familie durch.
Die Beziehung zwischen Anna B. und Johann I. - sie war keine Affäre. »Wir waren füreinander gemacht. Wir wollten heiraten und zusammen alt werden«, weint die 41-jährige. »Wir passten zusammen wie die Hälften eines Apfels, den man durchgebrochen hat«, schluchzt die Frau mit leiser Stimme und wischt sich mit der Hand Tränen aus den Augen. Viele Nächte seien sie mit dem Telefonhörer in der Hand eingeschlafen - er bei seinen Kindern in Petershagen, sie bei ihren Kindern in Hiddenhausen. »Wir haben gesprochen, bis wir eingenickt sind. Manchmal bin ich wachgeworden und habe Johann durchs Telefon schnarchen gehört. Dann war er mir ganz nah.«
Der Chemiearbeiter sei ein treuer, humorvoller und fürsorglicher Mensch gewesen, erzählt Anna B. »Er hat sich um meine Kinder gekümmert wie um seine eigenen. Meine Älteste hat er sogar Töchterchen genannt. Wir wollten zusammenziehen, aber erst abwarten, was beruflich aus Johann werden würde.« Denn die BASF hatte dem 44-Jährigen zum 30. Juni gekündigt, wie 129 weiteren Arbeitern. Spekulationen um einen Freitod ihres Lebensgefährten wegen drohender Arbeitslosigkeit weist die Frau zurück: »Johann sollte noch bis Februar 2008 seinen Lohn bekommen und eine Abfindung erhalten. Wir hätten Zeit genug gehabt, etwas Neues zu suchen. Außerdem wusste er, dass Selbstmord eine Todsünde ist.«
Bei der Beerdigung ihres Liebsten am 22. Dezember sei sie zum ersten Mal dessen Frau begegnet, erzählt Anna B. »Olga hat mir viel Kraft gewünscht. Es gibt zwischen uns kein böses Blut. Warum auch?« Der Blick der Frau geht ins Leere, als sie an den Mord denkt: »Es macht mich wahnsinnig, nicht zu wissen, warum Johann sterben musste und wer ihn vergiftet hat. Einmal habe ich in meiner Verzweiflung bei der BASF angerufen und ins Telefon geschrien: Wer hat meinem Johann das angetan? Wer war das?« Aber natürlich habe niemand geantwortet.
130 Zeugen, vor allem Arbeitskollegen, hat die »Mordkommission Kühlschrank« bis gestern vernommen - ohne einen Hinweis auf ein mögliches Motiv oder einen Täter zu erhalten, wie Staatsanwalt Christoph Mackel sagte. Zu viele der 480 Mitarbeiter hatten Zugang zu dem Zyanid und dem Kühlschrank, in dem die Fanta-Flasche gestanden hatte - mit dem Namen des Chemiearbeiters auf dem Etikett.
Anna B. besucht nun regelmäßig das Grab des Mannes, den sie wie keinen anderen geliebt hat. »Johann hat mir die zehn glücklichsten Monate meines Leben geschenkt, aber zehn Monate waren einfach zu wenig«, schluchzt die 41-Jährige. »Aber die Erinnerungen in meinem Herzen«, sagt sie, »die werden ewig bei mir bleiben.«

Artikel vom 11.01.2007