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Dem Alten Rathaus
aufs Dach gestiegen

Ein Ausflug in die Untiefen der Stadtverwaltung

Von Burgit Hörttrich
und Hendrik Uffmann (Fotos)
Bielefeld (WB). Zur Rathausbesichtigung wurden festes Schuhwerk und unempfindliche Kleidung empfohlen. Nicht ohne Grund.

Denn die Mitglieder des Betriebsausschusses Immobilienservicebetrieb (ISB) schauten sich gestern vor Sitzungsbeginn zwar auch die Baustellen Rochdale- und Enniskillen-Raum an (das WESTFALEN-BLATT berichtete), aber auch den Keller des 102 Jahre alten Bauwerks, zu dem unter anderem ein Bunker gehört: die ehemalige Schaltzentrale mit ihrer längst historisch wirkenden Stöpselanlage aus Zeiten, als Telefongespräche noch vom »Fräulein vom Amt« verbunden wurden. Außerdem den in weiten Teilen ungenutzten Dachboden, unter anderem mit dem alten Zeichensaal.
Hartmut Meichsner (CDU), Vorsitzender des Ausschusses und Kenner des Alten Rathauses: »Wir wollten uns anschauen, wieviele freie Flächen das Alte Rathaus noch zu bieten hat und welche Nutzungsmöglichkeiten es geben könnte, wenn man das Dach isoliert - Ideen sind willkommen.«
Um die sonst nicht zugänglichen Bereiche zu besichtigen, mussten die Ausschussmitglieder so manche Hürde nehmen. Im Keller des Rathauses ging es durch schmale Gänge und Türen um zahllose Ecken in stockfinstere Räume. Licht lieferte lediglich eine Taschenlampe.
Auf dem Dachboden mussten die Kommunalpolitiker darauf achten, wohin sie ihren Fuß setzten, denn an manchen Stellen ist die Deckenkonstruktion nicht sehr tragfähig, an manchen Stellen sind die Räume nur über Holzplanken begehbar, die auf den Boden liegen. Und im Bereich unter dem Giebel zum Niederwall galt es, möglichst einzeln vorzutreten, denn alle Mitglieder des Ausschusses auf einmal hätte das Gebälk wahrscheinlich nicht getragen.
Dass auf dem Dachboden auch Tonscherben liegen, erklärte Roman Schmolke, einer von vier Rathaus-Hausmeistern, mit stürmischem Wetter wie in diesen Tagen. »Da kommt es schon mal vor, dass eine Dachpfanne zu Bruch geht«, erläuterte Schmolke, der die Politiker bei ihrem Rundgang begleitete.
Die Ausschussmitglieder wurden für ihre Kletterpartie mit Ausblicken belohnt, die nur wenige Bielefelder genießen können. Aus den Fenstern des Rathaus-Dachbodens bietet sich eine außergewöhnliche Perspektive über die Stadt.
Für Hartmut Meichsner, der zum 100-jährigen Rathausjubiläum 2004 bereits ein Heft mit Erläuterungen zu Rathaus-Symbolen geschrieben und veröffentlicht hat, ist das Alte Rathaus »als Kommunalbau einzigartig in Europa«. Er plant eine weitere Veröffentlichung, nachdem es ihm gelungen ist, Isometrie und Symbolik des Gebäudes weitgehend zu entschlüsseln. Beides sei freimaurerischen Ursprungs.
Er recherchiert zurzeit, warum zwischen 1953 und 1958 zahlreiche der freimaurerische Zeichen aus den Wänden des Alten Rathauses herausgebrochen wurden, warum sämtliche Akten, die das Thema behandeln, vernichtet wurden. Meichsner: »Am Bielefelder Rathaus ist das Gedankengut, das Ende des 19. Jahrhunderts herrschte, hervorragend ablesbar.«

Artikel vom 10.01.2007