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»Vermisste«
Brüder tauchen
in Chronik auf

Senne-Buch nennt die Sterbedaten

Von Annemargret Ohlig
Senne (WB). Es ist eine mehr als ungewöhnliche Suche, die im Rahmen einer Erbschaft nach den drei Brüdern Friedrich, Heinrich und Wilhelm Vormfenne aus Senne I derzeit stattfindet. Diesen Aufwand für eine gerichtlich geforderte Todeserklärung hätten sich die Juristen möglicherweise ersparen können - hätten sie nur einen Blick in das Buch »Senne I in Vergangenheit und Gegenwart« getan.

Denn in dieser Chronik, die die Gemeindeverwaltung Senne I schon 1952 herausgegeben hat, entdeckten WESTFALEN-BLATT-Redakteure aus Brackwede jetzt in der »Ehrentafel der Kriegsopfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges« die genauen Sterbedaten der Vormfenne-Brüder. Friedrich ist am 1. August 1917, Heinrich am 10. Oktober 1918 und Wilhelm am 10. November 1917 gefallen. Laut Mitteilung des Amtsgerichtes Bielefeld werden dagegen die 1894, 1895 und 1898 geborenen Männer seit den Weltkriegsjahren 1917 beziehungsweise 1918 »nur« vermisst und gelten damit seit 90 Jahren als verschollen.
Der frühere Brackweder Amtsdirektor und Heimatforscher Adolf Tjaden, der die Ehrentafel für das »Senne-Buch« zusammengestellt hat, griff damals offensichtlich auf Quellen zurück, die die Todesdaten der drei Senner Brüder nennen. Er habe die Ehrentafel nach amtlichen und privaten Aufzeichnungen und Unterlagen erstellt, erklärt der als äußerst gewissenhaft geltende Mann in seinem Vorwort. Dort heißt es weiter: »Es sind auch solche Soldaten aufgenommen, die in der Gefangenschaft gestorben sind - dagegen keine Vermissten.«
Was bedeutet: Die drei Brüder können als Verschollene gar nicht gesucht werden, weil sie bereits seit neun Jahrzehnten tot sind. Und für Tote gibt es logischerweise keine »Todeserklärungen«.
Jürgen Grotevent, stellvertretender Direktor des Amtsgerichts Bielefeld, findet den WESTFALEN-BLATT-Hinweis auf die Gemeindechronik Senne I »interessant«. »Diese Daten sind uns bisher nicht bekannt«, sagt Grotevent. Gleichwohl könne er nicht beurteilen, welche Wertigkeit die Chronik habe und ob ihre Daten tatsächlich die benötigte Urkundenqualität, etwa die einer Sterbeurkunde, hätten. »Es wäre für uns allerdings nicht uninteressant gewesen, wenn wir vorher etwas über diese in Senne vorhandenen Unterlagen gewusst hätten.«
Der Rechtspfleger, der sich mit dem Fall Vormfenne beschäftigte, habe bei seiner Recherche auf alles zurückgegriffen, was an geeigneten Unterlagen vorhanden gewesen sei. Was aber in die Zeit des Ersten Weltkrieges hineinführe, werfe das sonst gewohnte Verfahren bei Gericht etwas aus der Bahn, erklärt der stellvertretende Amtsgerichtsdirektor.
Allerdings werde man auf Grund der Hinweise aus Senne wohl keine neuen Untersuchungen anstellen. Jürgen Grotevent: »Es ist praktisch alles geschehen. Die Wartefrist läuft, und so ist alles für eine Todeserklärung fertig vorbereitet.« Das WESTFALEN-BLATT recherchierte dennoch weiter - und kam dabei zu einem überraschenden Ergebnis.
Im »Archiv« der Bürgerberatung im Bezirksamt Senne lagert noch die Altkartei des Einwohnermeldeamtes der Gemeinde Senne I. Dort ist nachzulesen, dass die Vormfennes am 23. Februar 1907 in das Haus Senne I Nr. 25 (heute Wilhelmsdorfer Straße 70 - das Haus ist inzwischen abgerissen) gezogen sind. Für alle elf Familienmitglieder - die Eltern, ihre acht Söhne und eine Tochter - wurden in dieser Kartei eigene Karten angelegt. Und hier befinden sie sich immer noch - mit drei rätselhaften Ausnahmen: Es fehlen die Karten der gefallenen Söhne. Wurden sie deshalb aus der Kartei entfernt, weil andere Ämter sie für eine Todesbescheinigung benötigten?

Artikel vom 10.01.2007