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Skandal stürzt Polens
Kirche in schwere Krise

Warschaus neuer Erzbischof tritt sein Amt nicht an

Warschau (dpa). Mit versteinerter Miene und tonloser Stimme las Erzbischof Stanislaw Wielgus die kurze Stellungnahme von einem Zettel ab.

Nach »tiefem Nachdenken und Einschätzung meiner persönlichen Situation« habe er sich entschlossen, sein Amt als Warschauer Erzbischof »in die Hände des Heiligen Vaters« zu legen, sagte er vor den versammelten Bischöfen und Priestern, Ordensleuten und einfachen Gläubigen. Der gestrige Tag, er sollte eigentlich der Höhepunkt in der Karriere des aus einer armen Bauernfamilie stammenden Geistlichen werden. Doch das feierliche Pontifikalamt an einem tiefgrauen, verregneten Sonntag wurde stattdessen zum Eingeständnis des Versagens, eine Demütigung.
Die Tumulte, die nach des Worten des 67-jährigen Bischofs in und vor der Warschauer Kathedrale ausbrachen, zeigen, wie tiefe Wunden der Fall Wielgus in den vergangenen Tagen aufgerissen hat. »Nein, nein, nein!« schrien viele Gläubige. Nur mühsam konnten Priester die Ruhe wiederherstellen. Und als Kardinal Jozef Glemp in seiner Predigt Wielgus verteidigte, sein Handeln mit dem Christus verleugnenden Apostel Petrus verglich, dem trotz seines Versagens die Kirche anvertraut worden war, brandete immer wieder Beifall auf. Wielgus selbst wirkte während der Predigt angeschlagen, immer wieder schloss er die Augen, zuckte es in seinem Gesicht.
Unter der Last von erdrückenden Beweisen hatte der bisherige Bischof von Plock am Freitag nach langem Schweigen jahrelange Kontakte zum früheren kommunistischen Geheimdienst eingeräumt. Er habe dem Druck nicht länger standhalten können und die Erklärung zur Zusammenarbeit unterzeichnet, um seine für die Kirche wichtigen Studien im Ausland durchführen zu können, versuchte er sich zu rechtfertigen. Geschadet habe er aber niemandem.
Zu diesem Zeitpunkt war die Geheimdienstakte von Wielgus einschließlich zweier Verpflichtungserklärungen bereits auf den Internetseiten mehrerer polnischer Medien veröffentlicht. Eine kirchliche und eine staatliche Kommission hatten festgestellt, es gebe »ohne Zweifel« Beweise für Kontakte von Wielgus zum Geheimdienst.
Für diejenigen Priester und katholischen Publizisten, die einen offensiven Umgang der Kirche mit Schwäche und Versagen während des Kommunismus forderten, war ein solcher Bischof an der Spitze eines der wichtigsten Warschauer Bistümer unvorstellbar. Trat er nicht die Nachfolge von Stefan Wyszynski an, der während des Stalinismus jahrelang interniert gewesen war? In einer Stadt, für deren Geistliche der vom kommunistischen Geheimdienst ermordete Priester Jerzy Popieluszko steht, dessen Seligsprechungsverfahren noch unter dem polnischen Papst Johannes Paul II. begonnen worden war?
Die Diskussion über die Vergangenheit des Bischofs hat die katholische Kirche Polens in ihre tiefste Krise gestürzt. Wielgus will dem Papst über seine Vergangenheit berichtet haben - doch geschah dies in vollem Umfang? Die Geheimdienstakte des Geistlichen bekam der Vatikan nach Angaben polnischer Juristen bisher nicht zu sehen.
Mit seinem Rücktritt hat Wielgus dem Vatikan und der polnischen Kirche einen Gefallen getan. Leicht fiel das dem ehrgeizigen Geistlichen kaum. Noch in der Nacht soll es Krisengespräche zwischen staatlichen und kirchlichen Vertretern gegeben haben.
Auch für Staatspräsident Lech Kaczynski und seinen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski, den polnischen Regierungschef, ist die Situation peinlich. Schließlich setzen sich die praktizierenden Katholiken für eine umfassende Abrechnung mit dem kommunistischen System ein. Die Kirche sah sich bisher vor allem als Bollwerk gegen den Kommunismus. Nun ist sie gefordert, sich auch mit Schuld und Verrat in den eigenen Reihen auseinander zu setzen.

Artikel vom 08.01.2007