13.01.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Einst das »Paris des Ostens«
Bukarests Stadtbild ist von einer erstaunlich vielfältigen Architektur geprägt
Wenige europäische Metropolen haben ein so diffuses Image wie Bukarest. Wer die Stadt nicht kennt, assoziiert sie am ehesten mit dem monströsen »Palast des Volkes« aus der Ceausescu-Ära.
Protz im Zuckerbäckerstil und neostalinistische Monumentalarchitektur sind aber bei weitem nicht alles, was Bukarest zu bieten hat. Dennoch ist die Rundfahrt in der rumänischen Hauptstadt ganz auf den grausamen Diktator zugeschnitten, der im Dezember 1989 gestürzt und erschossen wurde.
Was Ceausescu seinem Volk und der Hauptstadt angetan hat, das prägt Bukarest bis heute. Der Lebensstandard liegt etwa 20 Jahre hinter den Verhältnissen von Prag, Warschau oder Budapest zurück. Ceausescus Villa, vor einigen Jahren noch für Touristen geöffnet, ist mittlerweile an die NATO vermietet. Aber die gigantischen Bauprojekte, die in ihrem Größenwahnsinn an die Pläne von Hitler und Speer für Berlin erinnern, gehören heute unbestritten zu Bukarests Attraktionen. Der Volkspalast, Sitz des Parlaments, ist nach dem Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt. Die Prachtstraße, die auf ihn zuführt, ist in ihren Ausmaßen größer als die Pariser Avenue des Champs-Elysees. Die zahlreichen Brunnen plätschern jedoch nur, wenn genügend Touristen in der Stadt sind. Die kommen meistens per Kreuzfahrtschiff, denn vom Donauhafen Giurgiu sind es nur 80 Kilometer in die Hauptstadt.
Das Stadtbild von Bukarest ist von einer erstaunlich vielfältigen Architektur geprägt. In kaum einer anderen europäischen Hauptstadt findet man auf engstem Raum ein derart buntes Stilgemisch. Gebäude im k.u.k-Stil stehen neben Palästen im französischen Neo-Barockstil des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Villen im neorumänischen Brâncoveanu-Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts (der orientalische und italienische Baumotive in sich vereinigt) und kleine ländliche Häuschen ducken sich zwischen Blöcken im modernistischen Stil der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts und typischen sozialistischen Plattenbauten.
Kulturbarbarei hat man dem Diktator vorgeworfen, als er für den Volkspalast Teile der Altstadt abreißen ließ. Glücklicherweise blieben jedoch etwa vier Fünftel eben dieser Altstadt unangetastet: chaotisch gewachsene Viertel mit krummen Straßen, kleinen, alten, teilweise auch verfallenden Häusern und viel Grün.
Dort haben nun die Bauarbeiter das Sagen. Von wenigen großen Achsen abgesehen, an denen die Adligen früher ihre Paläste und Repräsentationsbauten errichteten und Bukarest zu seinem Spitznamen »Paris des Ostens« verhalfen, strahlt die Stadt einen ländlichen Charme aus. Nicht selten hört man Hähne krähen aus den wild zugewachsenen Gärten, manchmal sieht man Hausschweine zwischen kleinen, verspielten Villen. Auch die Straßenkinder sind ab und zu noch zu sehen.
Auch am Bukarester Königsschloss wird ein Stopp eingelegt. Es hat einen U-förmigen Grundriss. Das Gebäude wurde von 1927 bis 1937 nach Plänen des Architekten Nicolae Nenciulescu im neuklassizistischen Stil errichtet. Der rumänische König Mihail wohnte hier bis 1947. Seit 1950 ist in einem Teil das bedeutendste Kunstmuseum des Landes untergebracht. Mehr als 70 000 Exponate zeigen die reichste Sammlung rumänischer Malerei von Nicolae Grigorescu bis Camil Ressu, Meisterwerke italienischer, holländischer, spanischer und russischer Künstler sowie spätbyzantinische Ikonen und Plastiken der Moderne.
Gleich gegenüber bezogen nach 1947 die kommunistischen Herrscher Rumäniens Quartier. Von einem Balkon des riesigen Komplexes aus versuchten am 21. Dezember 1989 die Ceausescus, noch einmal das Ruder herumzureißen. Doch sie mussten sich schnell vom Dach aus per Hubschrauber in die Lüfte flüchten - durch zahlreiche TV-Übertragungen weltbekannte Szenen.
Im Norden der Stadt ist der Arcul de Triumf (Triumphbogen) zu sehen, errichtet zu Ehren des Sieges im Ersten Weltkrieg. Von 1933 bis 1936 vollendete ihn Petre Antonescu zu einem riesigen Bauwerk nach klassisch-römischer Art. Wie in Paris strömt auch hier der Verkehr sternförmig auf den mächtigen Bogen zu. Thomas Albertsen
www.bucuresti.ro

Artikel vom 13.01.2007