03.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Gut, natürlich war auch etwas schief gegangen, die unsportliche Alice Munroe war ins Wasser gefallen, aber außer dass sie hinterher patschnass war und von allen ausgelacht wurde, war überhaupt nichts passiert. Sie hatten einfach alle einen Riesenspaß gehabt.
Janie konnte sich absolut nicht vorstellen, dass ihre Mutter jemals so etwas tun würde. An einem Wochenende eine Bootstour mit fünf Kindern zu machenÉ o Gott, das war undenkbar! Mum mit ihrer Nervosität und ihrem ständigen Kopfweh und ihrer Unfähigkeit, während ihrer Freizeit länger als zehn Minuten ohne eine Zigarette auszukommenÉ Mum mochte es nicht einmal, wenn Janie am Samstag oder Sonntag eine Freundin zu sich einlud. Und nicht einmal an ihrem Geburtstag im September durfte Janie eine richtige Party veranstalten.
»Du kannst ein Mädchen mitbringen«, sagte Mum immer wieder, »und ich gebe dir etwas Geld, damit du für euch beide ein Stück Kuchen kaufen kannst.«
Das war alles. Wenn sie jedoch einen Daddy hättenÉ Wenn Mum sich in einen Mann verlieben und ihn heiraten würdeÉ

U
nd bald war es ja wieder so weit. Heute war der 28. August. Am nächsten Freitag begann schon der September. Und am 17. September war ihr, Janies, neunter Geburtstag. Ein Sonntag in diesem Jahr. Wie wundervoll wäre es, wenn sie alle ihre Freundinnen einladen könnte! Auf kleinen Einladungskärtchen mit vorgedrucktem Text:
LiebeÉ, ich würde mich sehr freuen, wenn Du amÉ denÉ umÉ Uhr zu meinem Geburtstag kommen würdest.
DeineÉ
Janie hatte sich die Karten im Schreibwarenladen schon ausgesucht. Sie waren lindgrün und mit vielen kleinen Glückskäfern und Kleeblättern bedruckt. Sie wusste auch schon ganz genau, wer alles eine solche Einladung bekommen sollte, sie hatte sich eine Liste gemacht, die sie in ihrer Schreibtischschublade verwahrte. Sie hatte geplant, welchen Kuchen es geben sollte, welche Spiele sie spielen würden und wie die kleinen Geschenke aussehen sollten, die ihre Gäste dabei gewinnen konnten. Es war alles perfekt. Nur - Mum würde nicht mitmachen. Das wusste sie.

E
s regnete draußen in Strömen. Janie fand den Mittagsschlaf deshalb nicht ganz so furchtbar wie am gestrigen Sonntag, als die Sonne geschienen und Mrs. Ashkin morgens gesagt hatte, mit dem schönen Wetter sei es nun bald vorbei. Janie hätte so gern den ganzen Tag unten im Hof gespielt, wo der Hausmeister eine Schaukel aufgestellt hatte. Aber sie hatte hier oben liegen müssen, im sanften Sonnenlicht, das durch die vorgezogenen gelben Vorhänge einfiel. Heute war alles grau, das Zimmer düster.
Sie musste an den Mann denken, den sie am vergangenen Freitag getroffen hatte. Im Schreibwarenladen, als sie sehnsüchtig und unschlüssig vor den Einladungskarten gestanden hatte. Er hatte sie angesprochen. War so richtig nett gewesen. Und sie hatte das Gefühl gehabt, dass er sie wirklich verstand. Er schien auf ihrer Seite zu stehen, ohne dass er Mum schlecht gemacht hatte - was sie ihm auch nie erlaubt hätte.
»Aber das ist doch ganz natürlich, dass du eine Geburtstagsparty veranstalten möchtest«, hatte er gesagt. »Jedes kleine Mädchen, das ich kenne, möchte das! Und diese Einladungskarten hast du dir ausgesucht? Ich muss sagen, die sind wirklich wunderhübsch!«

E
r hatte so freundlich ausgesehen. Nett und warmherzig und verständnisvoll. Sie überlegte seither immer wieder, ob er wohl Kinder hatte. Sie fand, dass er eigentlich Kinder haben musste. Er hatte etwas von einem Daddy. Ein bisschen kumpelhaft, und trotzdem konnte man sich anlehnen. Er würde einen trösten, wenn man hinfiel und sich die Knie aufschlug, und er würde dabei nicht schimpfen, weil die Jeans ein Loch bekommen hatten. Er würde sagen, dass das nicht so schlimm sei. Ganz anders als Mum. Mum regte sich entsetzlich auf, wenn etwas kaputtging. Sie schimpfte dann so, dass sie das Trösten ganz vergaß.
Am allermeisten musste Janie jedoch daran denken, dass der Mann gesagt hatte: »Ich würde gern die Party für dich ausrichten! Weißt du, dass ich der beste Kindergeburtstagsveranstalter der Welt bin? Ich habe schon so viele gefeiert, dass man mich getrost einen Experten nennen kann!«
»Aber meine Mum wird das nicht erlauben«, hatte sie eingewandt. »Sie sagt, unsere Wohnung ist zu klein für so etwas. Und wenn dann getobt wird, geht bestimmt etwas kaputt. Meine Mum hat nur ganz wenig Geld, wissen Sie. Deshalb hat sie immer solche Angst, dass etwas herunterfällt und zerbricht!«
Der Mann hatte das völlig verstanden.
»Das ist doch ganz klar. Vielleicht ist eure Wohnung deshalb nicht der richtige Ort für eine solche Party!«
Und dann hatte er den verlockenden Vorschlag gemacht: »Warum lädtst du deine Freunde nicht zu mir ein? Ich habe ein großes Haus mit einem Garten. Wenn das Wetter schön ist, feiern wir draußen. Sollte es regnen, nun, dann kümmert uns das auch nicht. Es gibt einen riesigen Hobbyraum im Keller, der eignet sich ganz großartig!«
Das klang natürlich alles zu schön, um wahr zu sein. Der Mann hatte sie dann gleich in seinem Auto mitnehmen wollen, um ihr sein tolles Haus zu zeigen, aber sie hatte Angst gehabt, zu spät zum Mittagessen zu kommen. Mum hasste Unpünktlichkeit. Sie verhängte dann immer gleich ziemlich drastische Strafen: Hausarrest, Fernsehverbot oder Taschengeldentzug. Janie hatte das nicht riskieren wollen.

D
och dann sein Angebot: »Es ist ja noch Zeit bis zu deinem Geburtstag! Du kannst es dir überlegen. Aber du solltest dir wirklich vorher mein Haus ansehen, damit wir genau planen können, wie wir es machen. Pass auf, ich sage dir etwas: Normalerweise bin ich jeden Montag hier und kaufe mir meine Motorradzeitschrift. Heute ist eine Ausnahme. Und ich mache deinetwegen noch eine weitere Ausnahme: Ich komme morgen wieder her. Um die gleiche Zeit. Wie ist es? Kannst du?«
Von wenigen Gelegenheiten abgesehen, arbeitete Mum auch samstags. Zwar nur bis vier Uhr, aber es könnte trotzdem reichen.
»Schon, ja. Aber nicht um diese Zeit. Da muss ich immer zum Essen!«
Er war wirklich nett und entgegenkommend gewesen. »Weißt du, was die Zeit angeht, so ist mir das eigentlich egal. Um wie viel Uhr kannst du denn?«
Sie hatte überlegt. Mum verließ um kurz vor zwei die Wohnung. Wenn sie dann sofort aufstand, sich anzog und gleich loslief, konnte sie um zehn nach zwei an dem Schreibwarenladen sein. Besser, sie gab noch fünf Minuten dazu, um auf Nummer sicher zu gehen.
»Um Viertel nach zwei. Da könnte ich hier sein.«
»Viertel nach zwei passt mir großartig«, hatte der Mann versichert. »Ich werde hier warten, und du kannst dir überlegen, ob du dazustoßen möchtest.«
»Das ist sehr nett von Ihnen«, hatte sie gemurmelt.
Er hatte gelächelt. »Du bist ein besonders hübsches Mädchen, Janie. Und dazu intelligent und freundlich. Wenn ich dir einen Gefallen tun kann, so ist mir das ein Vergnügen.«

E
r hatte kurz überlegt und dann hinzugefügt: »Weißt du, Janie, ich denke, unser Plan sollte vorläufig unser Geheimnis bleiben. Ich könnte mir denken, dass deine Mum ärgerlich wird, wenn sie erfährt, dass du ganz ohne sie woanders eine Party feiern möchtest!«
Das konnte sie sich auch denken. Nur allzu gut.
»Aber sie wird es doch merken, wenn ich an meinem Geburtstag weggehe!«
»Klar würde sie das merken. Und kurz vorher sagen wir es ihr auch. Wenn du möchtest, übernehme ich das. Aber dann sollte schon alles perfekt sein. Ich meine, wir sollten uns dann schon genau überlegt haben, was wir deinen Gästen anbieten, was wir spielen und in welcher Reihenfolge. Vielleicht sollten wir schon den Partykeller geschmückt oder im Garten Lampions aufgehängt haben.Wenn sie hört und womöglich sogar sieht, wie viel Mühe wir uns gegeben haben, wird sie bestimmt toll finden, was wir vorhaben!«

E
r kannte Mum nicht. Janie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter jemals irgendetwas toll gefunden hatte. Aber vielleicht war es einen Versuch wert.
»Und du solltest auch mit deinen Freundinnen noch nicht darüber sprechen«, fuhr der Mann fort, »denn nachher wird das womöglich alles nichts, und dann stehst du blamiert da.«
»Warum sollte es nichts werden?«, hatte sie ganz erschrocken gefragt.
»Nun ja - wenn vielleicht doch noch ein Einwand von deiner Mum kommt. Oder dir gefällt am Ende mein Haus nicht!«
Letzteres konnte sie sich absolut nicht vorstellen. Ersteres dafür umso besser.
»Ja. Da haben Sie Recht.«
»Versprochen?«, fragte er. »Kein Wort zu niemandem?«
»Kein Wort«, hatte sie feierlich gesagt.
Er hatte ihr über die Haare gestrichen. »Wir feiern den schönsten Geburtstag deines Lebens, Janie«, hatte er gesagt.
Und dann das Furchtbare vorgestern, am Samstag: Mum, die schon am frühen Morgen ganz blass gewesen war, hatte sich gleich nach dem Mittagessen, von dem sie wieder nur ein paar Krümel zu sich genommen hatte, übergeben müssen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 03.02.2007