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Mit einer gemeinsamen Energiepolitik kann die EU auch ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen.

LeitartikelEnergiepolitik

EU darf nicht
erpressbar werden


Von Friedhelm Peiter
Das erste Jahr der großen Koalition war nicht von politischen Glanzleistungen geprägt. Immerhin: Sie hat bei allen für die Bürger schmerzhaften Einschnitten endlich entscheidende Schritte gegen die Staatsverschuldung eingeleitet. Wie groß der Anteil der Bundesregierung am wirtschaftlichen Aufschwung ist, darüber streiten die Experten.
In diesem Jahr wird neben allen innenpolitischen Erneuerungsbemühungen jedoch die Außenpolitik den Schwerpunkt in der Arbeit der Koalition bilden. Mit der Präsidentschaft in der Europäischen Union kommt auf Bundeskanzlerin Angela Merkel eine große Verantwortung zu. Sie soll die Weichen stellen, um dem 27-Staaten-Bund eine Verfassung zu geben, die die EU reformfähig und zukunftsfähig macht.
Bei aller Wichtigkeit dieses Themas sollten auf Merkels EU-Tagesordnung jedoch das Verhältnis zu Russland und die Energiepolitik ganz oben stehen. Präsident Wladimir Putin setzt die Öl- und Gas- reserven seines Landes ungeniert als wirtschaftliche und politische Waffe ein. Er hat nicht nur die großen Energieunternehmen wie Gazprom als »strategischen Bereich« unter staatliche Kontrolle gebracht und versucht, mit Gazprom auch auf dem westeuropäischen Markt direkt Einfluss zu gewinnen.
Ein wirtschaftlich schwaches Russland überließ noch Anfang der 1990er Jahre Konzessionen zur Erschließung von Gas- und Ölvorkommen auf der Insel Sa- chalin dem Investor Shell, sogar mit einer Mehrheitsbeteiligung. Heute geht Putin mit westlichen Investoren rüder um. Diese können in Öl- und Gasförderprojekte nur noch als Minderheitsbeteiligte investieren. Und Moskau spielt die europäischen Länder auch durch eine Reihe bilateraler Energie-Lieferabkommen gegeneinander aus.
Alle EU-Staaten verbindet das strategische Interesse an einer sicheren Energieversorgung und das Ziel, künftig nicht Gefahr zu laufen, von einem großen Gaslieferanten wie Russland erpresst zu werden. Weißrussland und die Ukraine sind warnende Beispiele. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fürchtet, dass Gazprom trotz langfristiger Verträge auch deutsche Abnehmer mit neuen Preisforderungen unter Druck setzen wird. Fast 40 Prozent der deutschen Importe kommen aus Russland.
Deshalb sollte Angela Merkel alle Anstrengungen unternehmen, um die EU-Staaten auf eine Linie einzuschwören, damit die Union als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit Russland aus einer Po- sition der Stärke verhandeln kann. Auch weitere Lieferländer muss die EU in ihre Energiepolitik einbinden. So sollte die Einfuhr ver- flüssigten Erdgases aus Afrika vorangetrieben werden, verbunden mit größeren Anstrengungen für eine noch stärkere Förderung nichtfossiler Energiequellen und einer weiteren intelligenten Drosselung des Verbrauchs.
Mit einer gemeinsamen Energiepolitik kann die EU auch ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen in einer Zeit, da vielen Bürgern nicht mehr klar ist, welchen Wert die EU für sie hat.

Artikel vom 04.01.2007