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Ein Rückzieher mag zwar auf den ersten Blick peinlich anmuten, ist es aber in Wirklichkeit keineswegs.

Leitartikel
Gesundheitsreform

Umkehren, solange es möglich ist


Von Ulrich Windolph
»Wenn es um die Sache geht, muss jetzt der Streit um die Wirkungen des Gesundheitsfonds beendet werden«, hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern gesagt und damit die Kritiker aus der Union zum Frieden in Sachen Gesundheitsreform aufgerufen. Sachpolitik, Streit beenden, das hört sich immer gut an. Das Problem ist nur: Bei der Gesundheitsreform geht es schon ziemlich lange nicht mehr um die Sache, um genau zu sein: seit dem 18. September 2005.
18. September 2005? Richtig, das war der Tag der letzten Bundestagswahl. Deren Ergebnis zwang CDU/CSU und SPD in die große Koalition und damit zwei gesundheitspolitische Reformansätze unter ein Dach, die verschiedener nicht sein konnten. Im Grunde ist alles, was dem 18. September 2005 folgte, absehbar gewesen. Dass es zwischen Bürgerversicherung auf der einen und Kopfpauschale auf der anderen Seite keinen sinnvollen Kompromiss geben konnte, war klar. Wer trotzdem an ein Wunder glaubte, wurde im Herbst 2006 eines Besseren belehrt.
Selten hat man Bayerns Ministerpräsidenten und die Gesundheitsministerin so übereinstimmend die Unwahrheit sagen hören wie bei der Präsentation des Ergebnisses: Von einer »wirklich großen Reform« sprach Ulla Schmidt, Edmund Stoiber (CSU) kam gar mit der Vokabel »Systemwechsel« daher. Die Wirklichkeit allerdings sieht anders aus. Präsentiert wurde ein Formelkompromiss der schlimmsten Sorte.
Die zentrale Frage, wie man das Gesundheitssystem mit ausreichend Geld ausstattet, es effektiver gestaltet und die Finanzierung von den Arbeitskosten abkoppelt, kann der Gesundheitsfonds nicht beantworten, wenn er denn 2009 überhaupt kommt. Dafür wird reichlich neue Bürokratie geschaffen. Auch echten Wettbewerb unter den Kassen sucht man vergeblich, stattdessen soll das funktionierende System der Privatkassen demontiert werden.
Deshalb darf es jetzt auch nicht darum gehen, ob die Gesundheitsreform zum 1. April oder doch erst später in Kraft tritt. Eine Verschiebung wäre in Ordnung, wenn die gewonnene Zeit der Verbesserung des Gesetzes diente. Union und SPD wissen aber, dass genau das in diesem Fall kaum mehr möglich ist.
Es ist jedoch kein Beweis politischen Könnens, ein unvernünftiges Gesetz zu beschließen, weil ein vernünftiges nicht erreichbar ist. Was den Regierungsparteien fehlt, ist der Mut, dieser Einsicht Taten folgen zu lassen. Richtig wäre, sich bei der Gesundheitsreform vorerst auf die kleinen, unumstrittenen, aber längst nicht unwichtigen Detailveränderungen zu beschränken.
Ein solcher Rückzieher mag zwar auf den ersten Blick peinlich anmuten, ist es aber in Wirklichkeit keineswegs. Die Regierungsparteien hätten nichts zu befürchten - außer der Häme der (kleinen) Opposition natürlich. Die große Mehrheit der Bundesbürger will diese Gesundheitsreform nicht, das belegen alle Umfragen.
Die Menschen wissen längst, dass diese Reform zwar viel kostet, aber wenig bringt.

Artikel vom 05.01.2007