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Aus dem Auto wird
bald eine Beziehungskiste
Vernetzte Kommunikation - General Motors stellt erste Lösungen vor Das Auto ist ein Informationsträger. Es kann Eindrücke aus der Umwelt aufnehmen, es sieht und hört, es verwertet die Informationen und reagiert darauf. Aber es spricht nicht darüber. Noch nicht.
Es ist ein großer Masterplan, an dem die Automobilhersteller der Welt arbeiten: Künftig sollen Autos - gleichgültig von welchem Hersteller - so miteinander vernetzt werden, dass sie Informationen austauschen können. Das »Car2Car Communication Consortium« arbeitet an einem europäischen Industriestandard für diese Technologie.
Im Jahr 2003 waren 26 Prozent aller Unfälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden, durch zu schnelles Auffahren verursacht worden, 22,8 durch Vorfahrtfehler und beim Einbiegen, 11 Prozent durch falsche Fahrbahnbenutzung und beim Überholen. Viele dieser Unfallursachen haben mit der Wahrnehmung des Menschen zu tun. Wir können nicht um die Ecke sehen und wir haben hinten keine Augen. Eine Baustelle hinter einer Kurve, der tote Winkel, Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer, unerwartet auftretende Eisglätte und Nebelbänke können wir nicht vorhersehen - wir haben keinen siebten Sinn.
Das sinnliche Defizit des Menschen auszugleichen ist also die Herausforderung. »Die Grundidee ist, dass mit Hilfe von Sensorik und Telematik jedes einzelne Auto zu einer weiten Vorausschau befähigt wird«, sagt Prof. Horst Wieker von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Im Rahmen des EU-Projektes »WILLWARN« beschäftigt er sich mit Entwicklung und Simulation von Algorithmen zur Gefahrenerkennung.
General Motors mit den Tochterfirmen Opel, Saab und Chevrolet, Cadillac hat erste Lösungen für die konkrete Anwendung vorgestellt. Im Opel Testzentrum Dudenhofen werden Unfallszenarien simuliert: Mit Vollgas auf ein stehendes Auto zuzufahren verursacht ein reichlich mulmiges Gefühl. Doch das Auto ist wachsam. Es hat die Signale des stehenden Fahrzeugs empfangen und aktiviert die Warnsysteme. Ein akustisches Signal ertönt, im Display blinkt ein Symbol, und der Fahrersitz beginnt zu vibrieren. Das Auto hat seinen Fahrer »aufgeweckt«, er kann rechtzeitig reagieren.
In einem anderen Szenario verläuft die Warnung in Stufen. Ein Auto fährt auf der Überholspur in den toten Winkel. Damit der zu überholende Fahrer weiß, woher die Gefahr droht, wird eine Leuchtdiode im linken Außenspiegel aktiviert. Ignoriert man die Warnung und setzt den Blinker, werden die Signale deutlicher: Der Sitz vibriert und die Leuchtdiode blinkt.
Noch einen Schritt weiter gehen die Systeme im Falle einer drohenden Kreuzungskollision: Wieder geht es mit Vollgas auf die Kreuzung zu, mit gleicher Geschwindigkeit nähert sich von links ein Auto. Der Sitz vibriert, das Display blinkt, ein Signal ertönt - das ganze Auto schreit »Alarm«. Gleichzeitig bremst der Wagen selbsttätig ein, die Geschwindigkeit wird drastisch verringert und die Kollision vermieden.
Wie verständigen sich nun die Autos miteinander? Die Anforderungen an das System beschreibt Prof. Horst Wieker: »Es muss eine Technik sein, die überall verfügbar ist und keine Betriebskosten verursacht.« Die Lösung heißt Wireless LAN. Die drahtlose Funkverbindung ist einfach und kostengünstig herzustellen. Zusammen mit einem Mikroprozessor und einem GPS-Empfänger können die damit ausgestatteten Fahrzeuge in einem Umkreis von mehreren hundert Metern ihre Daten über Positionen, Geschwindigkeit, Beschleunigung oder Straßenzustand austauschen. Konkret heißt das: Wenn sich hinter der Kurve ein liegengebliebenes Fahrzeug befindet, dann sendet nicht nur das Auto Signale, sondern auch Fahrzeuge im Gegenverkehr, die das Fahrzeug passieren. Zusätzlich könnten Warnbaken am Fahrbahnrand mit der Technik ausgestattet werden und die Informationen sammeln und verteilen.
Ad-hoc-Netze werden solche lokalen Kommunikationsnetzwerke genannt. Die Technik ist kostengünstig, für 300 bis 500 Euro könnte nach Wiekers Angaben jedes Neufahrzeug damit ausgerüstet werden.
Bis dahin bleiben viele Fragen offen. Datenschützer werden sich an dem offenen Informationsaustausch über die Bewegungen von Menschen in ihren Fahrzeugen stoßen. Und wie es sich auf den Menschen auswirken wird, wenn er sich immer mehr auf elektronische »Wahrnehmungen« verlässt, sollte auch Beachtung finden. Haben wir in der Zukunft noch alle Sinne beisammen?
Unfallzahlen zu senken, ist ein starkes Argument. Dazu beitragen könnte die neue Beziehungsfähigkeit des Autos ganz sicher. Miteinander reden hilft.
Esther Steinmeier

Nächste Woche: Neuheiten der Detroit Motor Show

Artikel vom 06.01.2007