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Wie eine richtig große Familie

In der Einrichtung Eben-Ezer feiern die Kinder gemeinsam Silvester

Von Peter Reineke
Lemgo (SZ). Der Sekt und die Himbeerbrause sind schon kalt gestellt. Silvester ist auch für die Kinder in Eben-Ezer ein besonderes Fest. Wie eine große Familie werden sie in der Lemgoer Behinderten-Einrichtung den Jahreswechsel feiern - zu ihren Eltern oder Pflegefamilien können oder wollen manche Bewohner nicht reisen.

Der Gedanke an Silvester lässt Ines Schweng, Julia Gläsner, Angelika Frenke und Sidney Needham schon jetzt strahlen. Die vier jungen Erwachsenen leben im »Tabeaheim« in einer so genannten Trainings-Wohngemeinschaft. Dort sollen sie behutsam lernen, einen eigenen Hausstand zu führen. Daneben besuchen die Heranwachsenden bis zum 24. Lebensjahr die private Förderschule von Eben-Ezer, die Topehlen-Schule. Wer danach in der Lage ist, eigenständig zu leben, kann in eine eigene Wohnung ziehen und wird nur noch dann ambulant betreut, wenn es nötig ist, zum Beispiel bei Behördengängen.
Im Moment kreisen aber die meisten Gedanken um die Silvesterfeier. Im Haus der »Finken« wollen sich die vier mit anderen Jugendlichen treffen. »Dann feiern wir bis in die Puppen«, kündigt die 21-jährige Julia an. Hackfleischbällchen wird es geben, Salate, Knabbersachen und eine Musiksendung im Fernsehen. Julia und Angelika trinken zur Feier des Tages ein Glas Sekt, andere wie Ines nur prickelnde Himbeerbrause: Ein Silvesterfest wie in einer ganz normalen Familie. Julia würde es danach gerne knallen lassen, doch Günter Preuß wiegelt schnell ab: »Es knallen schon genug andere«, sagt der Mitarbeiter des »Tabeaheims«, der die jungen Leute am Silvesterabend betreuen wird. Eine Rakete werden sie vielleicht in den Lemgoer Nachthimmel steigen lassen, mehr aber auch nicht. Preuß wird penibel darauf achten, dass Feuerwerkskörper nur von Mitarbeitern oder »einem Zuverlässigen von den Jungs« gezündet werden. Zwar sollen die Bewohner Verantwortung übernehmen, alle können das jedoch nicht.
Für die Kinder von Eben-Ezer ist die Zeit um die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel oft sehr schwer. Ihre Familienverhältnisse lassen es manchmal nicht zu, nach Hause zu fahren, während ihre Mitbewohner in der Trainings-WG ihre Familien besuchen. »Wir reden dann sehr viel, gerade wenn die Kinder nicht akzeptieren, dass sie nicht nach Hause können«, sagt Preuß. Mit den Jahren haben die meisten gelernt, mit dem Problem umzugehen. An den Feiertagen gibt es dann einen kleinen »Bonus«, sei es ein gemeinsames Frühstück oder ein Filmabend vor dem Fernseher.
Julia, Angelika und Ines denken aber auch schon an 2007 und die Träume, Wünsche und Hoffnungen, die sie mit dem neuen Jahr verbinden. Julia möchte mit ihrem Freund Rolf zusammenziehen. Rolf arbeitet in einer der Werkstätten von Eben-Ezer und lebt derzeit im Betreuten Wohnen. Eine Partnerwohnung, von denen Eben-Ezer mehrere unterhält, könnte dem jungen Paar eine gemeinsame Zukunft ermöglichen.
Angelika dagegen möchte liebend gerne schwimmen gehen. Zurzeit sind in der Schwimmgruppe von Eben-Ezer alle Plätze belegt; die 17-Jährige hofft daher, dass bald ein Platz frei wird und sie sich im kühlen Nass vergnügen kann. Und Ines schließlich, eine begeisterte Musikerin, wünscht sich, wieder besser hören zu können. Auf dem einen Ohr ist die 22-Jährige taub, auf dem anderen hört sie nur noch schwach.
Vielfältige Wünsche von unterschiedlichen Menschen - trotz ihrer Behinderung leben die Kinder von Eben-Ezer mitten in der Gesellschaft. Sie begrüßen das neue Jahr wie alle anderen und haben Wünsche und Ziele, die sich kaum von denen der Nicht-Behinderten unterscheiden.

Artikel vom 30.12.2006