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Wort zum Sonntag

Heute von Dechant Andreas Kurte

Pfarrdechant Andreas Kurte ist leitender Pfarrer des Pastoralverbundes Höxter und Dechant des Dekanates Höxter.

Es war eine archäologische Sensation, als im Jahre 1979 am Rande der Jerusalemer Altstadt zwei zusammengerollte Silberplättchen gefunden wurden. Drei Jahre brauchte man, um sie unzerstört öffnen zu können.
Auf der Innenseite der Silberplättchen sind althebräische Buchstaben eingeritzt, die mit Ausnahme des althebräischen Gottesnamen Jahwe zuerst unlesbar zu sein schienen. Mit Hilfe eines besonderen Verfahrens gelang es dann doch, den größten Teil der erhalten gebliebenen Worte zu entziffern.
Auf den Plättchen ist zu lesen: »Es segne dich der Herr und er behüte dich, leuchten lasse der Herr sein Angesicht über dir und gebe dir den Frieden«.
Die Nähe zum alttestamentlichen Lesungstextes der katholischen Leseordnung des Neujahrstages ist unverkennbar. Aufgrund des Schrifttyps haben die Archäologen die Silberplättchen auf das 7. Jahrhundert v. Chr. datiert. Das bestätigte die Auffassung vieler Experten, die diesen Text im Verbund des alttestamentlichen Buches Numeri zwar dem 6. vorchristlichen Jahrhundert zuweisen, den Text als solches aber für viel älter halten.
Da die beiden Silberplättchen an einer Stelle durchlöchert sind, konnten sie wohl an einem Band als Schmuck getragen werden, wohl mit der Absicht, den Segen in seinem Leben wirksam werden zu lassen.
Dieser Segenswunsch soll uns in das neue Jahr hinüberleiten und begleiten: Der Herr segne dich: Auf jüdischen Grabdenkmälern für Verstorbene aus dem Priestergeschlecht werden häufig zwei Hände abgebildet, ein Zeichen für die priesterliche Aufgabe, die Menschen zu segnen. Die Segensgeste will sagen, dass nicht der Priester die Quelle des Segens ist, sondern Gott selbst. Wenn das Alte Testament von Segen spricht, dann spricht es vom Leben. Der Segen lässt menschliches Leben aufblühen und verleiht Leben neue Spannkraft.
An Gottes Segen ist alles gelegen: ein Sprichwort aus unserer Zeit. Der Segen beinhaltet für den alttestamentlichen Menschen ganz konkrete Dinge: Kinderreichtum, Ernteertrag, Regen, Erfolg bei der Arbeit. Für die Menschen in den damaligen Lebensumständen als Nomaden in der Wüste ganz existentielle Dinge.
Der Herr behüte dich: Dieses zweite Segenswort lässt die Glaubenserfahrung Israels lebendig werden, die weit in seine Geschichte zurückreicht. In der Errettung am Schilfmeer hatte es die helfende Nähe seines Gottes erfahren. Auf dem Weg durch die Wüste war Jahwe schützend bei seinem Volk.
Von der Erfahrung, dass Gott das gesamte Volk, aber auch den einzelnen schützt sprechen auch die Psalmen: Gott befiehlt seinen Engeln dich auf allen Wegen zu behüten und der bedrängte Beter spricht: Behüte mich Gott, denn ich vertraue dir.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten: Wie sieht Gott wohl aus; eine Frage, die Kinder häufig stellen, die aber auch uns Erwachsene interessiert. Das alttestamentliche Volk Israel hat sich darüber wenig Gedanken gemacht. Für sie ist Gott der »Ich bin da«, so hat er sich Moses geoffenbart. Das reicht...
Ich bin für euch da und bin euch wohlgesonnen. Das ermutigt die Menschen, diesem Gott unter die Augen zu treten. Der Gott der Bibel lebt nicht weltabgewandt in seinem eigenen Glück. Vielmehr hat er ein leidenschaftliches Interesse am Menschen. Und er wendet sich ihm in Liebe zu.
Der Herr schenke dir deinen Frieden. Mit diesem letzten Segenswunsch erreicht der Segenswunsch seinen Höhepunkt. Im Hebräischen heißt es an der Stelle »Er setzte dir SCHALOM.« Schalom kann nicht einfach mit Frieden übersetzt werden. Schalom bedeutet mehr: Frieden, Wohlergehen und Glück für das Leben.
Der Herr segne dich und behüte dich, er lasse sein Angesicht über dir leuchten und schenke dir den Frieden. Diese Segensformel soll uns in das neue Jahr begleiten.
»Rosh Shana« so heißt der erste Tag des Jahres auf hebräisch. Rosh, das ist das Wort für den Kopf, das Haupt oder den Anfang. Shana ist das hebräische Wort für Jahr. Rosh Shana heißt also nichts anderes als Jahresanfang.
Auch die Juden aus dem europäischen Sprachraum wünschten sich einen guten Jahresanfang, weniger auf hebräisch eher auf jiddisch. Im Jiddischen wird aus dem Rosh ein Rutsch. Wenn Sie sich in den nächsten Stunden einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen, dann kommt dieser Wunsch aus dem Judentum. Sie wünschen sich nichts anderes als einen guten Anfang, viel Glück und ein gutes Gelingen für das neue Jahr.
Einen guten Rutsch! Wie oft haben sie diesen Wunsch auch oft eher gedankenlos verwandt. Ich wünsche ihnen heute einen guten Rutsch im Bewusstsein, dass es ein jiddischer Wunsch ist, ich wünsche ihn in Verbindung mit dem Judentum, mit dem Volk, dem Jesus angehörte, denn Jesus war Jude. In Verbundenheit mit dem Volk, auf dessen Schultern unser Glaube ruht.
Ich wünsche bewusst einen guten Rutsch, nicht nur einen guten Start in das neue Jahr, sondern auch den Segen Gottes für alle Tage des Jahres, der Ausdruck findet in der Segensformel: Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Angesicht leuchten und schenke dir den Frieden. Rosh Shana.

Artikel vom 30.12.2006