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Isabell Exner (li.) und Sabine Möller sind aus Schröttinghausen herbeigeeilt, um Berliner zu genießen.

Außen luftig, innen schlägt
ein Herz aus Johannisbeere

Im Café Knigge wird der Berliner zum Kunstwerk


Von Matthias
Meyer zur Heyde und Carsten Borgmeier (Fotos)
Bielefeld (WB). Insgeheim sind die Berliner davon überzeugt, den Berliner erfunden zu haben. Voller Stolz wollten sie das Fettgebäck sofort »Berliner« nennen, aber da mahnte der Alte Fritz: »Mehr sein als scheinen, meine lieben Preußen!«. Und so sprechen die Berliner heute bescheiden, aber irreführend, von »Pfannkuchen«.
Erfunden haben sie die gefüllte Kugel (die zur Köstlichkeit wird, wenn der Könditor ein Könner ist) aber doch: »Ein Zuckerbäcker aus Berlin wollte Friedrich dem Großen dienen, als dieser in den Krieg zog. Leider wurde der Mann untauglich gemustert, doch der König nahm ihn trotzdem mit: als Feldbäcker. Der formte Kanonenkugeln aus Teig und garte sie, weil er keinen Ofen ins Lager schleppen konnte, in heißem Fett«, referiert Dominik Heuer, Chef der Backstube im Café Knigge.
Eine schöne Geschichte. Es gibt 1000 andere Geschichten, genauso, wie es 1000 Sorten Berliner gibt. Manche kann man wenige Stunden, nachdem sie der Ölwanne entstiegen sind, auf den Boden fallen lassen, wo sie zu Paniermehl zerbröseln. Andere, die gummiartigen, taugen perfekt zum Squash. Wolfgang Windau hingegen, Inhaber des Café Knigge, hat den Berliner zur Kunstform erhoben.
»Der Kunde schmeckt die Zeit, die der Konditor in die Zubereitung investiert«, versichern Windau und Heuer übereinstimmend. Also: den leichten Hefeteig nicht zusammenrühren und in Öl werfen. Sondern: mit einer Spezialmischung aus Marzipan, Vanille, Zimt, Kardamom und Tonkabohne ansetzen, aufkommen lassen, wieder zusammenschlagen, erneut aufkommen lassen - und das mehrfach, zum Schluss 30 Minuten lang bei 40 Grad und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit im Garschrank. »So wird der Teig feinporig und hält die Feuchtigkeit.«
Die südamerikanische Tonkabohne, dies nur nebenbei, veredelt Kuchen und Pralinen, alkoholische Getränke und Parfüms, kommt hierzulande aber kaum in den Handel. Doch zurück zu unserem Fett- oder Siedegebäck, dessen Urform schon in einem ägyptischen Mumiengrab gefunden wurde. Via bella Italia fand es den Weg nach Germania, und im Mittelalter schnabulierte das Volk die »Krapfen«, »Kräppel«, »Funkenküchlein«, »Nonnenpfoten« (Entschuldigung!), oder »Liwanzen« weg wie nix. Ähnlich wie heutzutage die Bielefelder, die zum Jahreswechsel allein im Café Knigge zehn- bis zwölftausend Berliner verlangen.
Streichelglatt wie ein Säuglingspopo, darf die Teigkugel schwimmend in Erdnussfett sieden. Wird liebevoll verziert. Und dann mit Senf gefüllt? Heuer lächelt: »Jedes Jahr machen wir sieben, acht Stück mit Senf, aber nur auf Wunsch!«
Viel lieber pflanzt das Café Knigge dem Teig ein Himbeer-Johannisbeer-Herz ein. Oder Vanille. Eierliqueur. Mousse au Chocolat. Marc de Champagne. Und am Sonntag, wirklich nur am Sonntag: Bailey's. Die Marmeladen eigenhändig gekocht, die Vanille-Sauce selbst zubereitet. Immer frisch: »In diesem Jahr kommt, obwohl Silvester auf einen Sonntag fällt, bis 12 Uhr, also bis zwei Stunden vor Ladenschluss, Nachschub aus der Backstube«, verspricht Heuer.
Ja, hätte John F. Kennedy das schon am 26. Juni 1963 gewusst. Vorm Schöneberger Rathaus hätte er gewiss gesagt: »Ick will 'nen Balina!«

Artikel vom 29.12.2006