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Alle Abgründe der Sucht erlebt

Marianne Faithfull wird 60 - Tournee nach ausgeheilter Krebserkrankung

London (dpa). Viel haben Angela Merkel und Marianne Faithfull nicht gemein. Allerdings spielte im Leben beider Damen der Song »Angie« mit der Zeile »Es gibt keine Frau, die es mit Dir aufnehmen könnte« eine gewisse Rolle.

CDU-Chefin Merkel benutzte ihn 2005 im Wahlkampf. Lange vorher war der Rolling-Stones-Hit für Faithfull, die heute 60 Jahre alt wird, eine Art letzter trauriger Abgesang auf eine einst ganz heiße Liebe. »Angie, all unsere Träume gehen in Rauch auf«, sang Mick Jagger 1973, und der Legende nach meinte er Marianne Faithfull. Da hatte die schöne Ex-Klosterschülerin ihre schlimmsten Schlagzeilen schon hinter sich. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre waren Jagger und Faithfull für London ungefähr das, was heute Kate Moss und Pete Doherty sind. Ein bisschen wilder noch, eine Spur unerbittlicher sich selbst gegenüber.
Der Titel »Sister Morphine« erinnert an Drogenexzesse, an die furchtbare Sucht, von der die äußerst talentierte Sängerin und Songschreiberin viele Jahre nicht loskommen sollte. Erst 1987 schaffte Faithfull, die 23 Jahre zuvor mit dem Superhit »As Tears Go By« - für sie geschrieben von den beiden »Stones« Jagger und Keith Richards - über Nacht zum Star wurde, endgültig den Ausstieg aus dem Heroinkonsum.
Dass sie es tatsächlich schaffen würde, hatten viele nicht mehr geglaubt, die sie Anfang der 70er Jahre nach der Trennung von Mick, nach Zusammenbrüchen und einem Selbstmordversuch als obdachlose Fixerin in London erlebt hatten. Auch - vielleicht vor allem - die Musik half ihr dabei. Freilich kam auch eine neue, weniger aufwühlende Beziehung hinzu. Die Ehe mit dem Bassisten Ben Brierley von der Band »Front« bescherte privates Glück. Ihre Versuche mit Balladen, Chansons und anspruchsvollem Pop brachten zudem den Erfolg, nach dem sie sich sehnte und den sie verdiente. Kritiker befanden, aus der wilden Marianne sei eine »erwachsene zeitgenössische Künstlerin« geworden. Immer wieder begeisterte sie mit herzhaftem Rock und kernig-heiserer Stimme auf Tourneen auch ihre Fans in Deutschland. Als Interpretin von Brecht und Weill wurde sie ebenfalls bejubelt.
Dann kam ein neuer Tiefschlag: die Diagnose Brustkrebs. Faithfull hatte noch einmal Glück. Im November konnte sie ihre Heilung bekannt geben. »Es war eine außergewöhnliche Erfahrung«, sagte sie, noch von der Behandlung gezeichnet. »Vorher hätte ich nie gewusst, wie viele gute Freunde ich habe.« Im nächsten Frühjahr holt sie ihre Welttournee nach, die sie wegen der Krebsbehandlung abgesagt hatte.

Artikel vom 29.12.2006