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Nehberg erwirkt eine Fatwa gegen Mädchen-Beschneidung

Sensationelles Religionsurteil höchster muslimischer Gelehrter in Kairo

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Der schlichte Satz ist eine Sensation, denn er ist eine neue Fatwa, ein striktes Gebot für Muslime: »Die Genitalbeschneidung bei Frauen ist eine ererbte Unsitte... ohne Grundlage im Koran oder Überlieferung des Propheten«.
So kennen ihn viele: Rüdiger Nehberg als Überlebenskünstler. Fotos: dpa
Denn, was Bürgerrechtskämpfer und aufgeklärte Köpfe in Asien und Afrika schon lange fordern, hat jetzt der Hamburger Abenteurer Rüdiger Nehberg gemeinsam mit Kairoer Religionsgelehrten zum Durchbruch verholfen: Die lebensgefährliche und junge Frauen zutiefst erniedrigende Prozedur der Verstümmelung an Schamlippen und Klitoris wird von den weisen Männern des Islam verworfen. Wörtlich heißt es in dem sensationellen Religionsurteil: »Daher müssen die Praktiken unterbunden werden in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islam, nämlich den Menschen unbegründet keinen Schaden zufügen zu dürfen... Vielmehr wird dies als strafbare Aggression gegenüber dem Menschengeschlecht erachtet.« Beklagt werden »verheerende Konsequenzen für die Gesellschaft«. Und: »Die Gesetzes-Organe sind aufgefordert, diese grausame Unsitte als Verbrechen zu deklarieren.«
Zu Beginn der Kampagne sei er wahlweise für verrückt oder weltfremd erklärt worden, sagte Nehberg nach dem Ende der von ihm selbst organisierten zweitägigen Konferenz. »Weil 80 Prozent der Verstümmelungen an muslimischen Frauen vollzogen werden, glaubten wir, das Ritual nur mit Hilfe des Islams brechen zu können«, erkkärte Nehberg. Der Arabien-erfahrene Weltenbummler weiß: »Die geistlichen Führer sollten den Brauch verurteilen, nicht wir als besserwissende Westler.«
Am 22. und 23. November berieten höchste Islam-Gelehrte und Mediziner in der Azhar-Universität von Kairo über das heikle Thema und die Position des Islam zu diesem Brauch. Zu den Gelehrten zählten der Großscheich der Azhar, Prof. Tantawi, der ägyptische Religionsminister Prof. Zakzouk sowie Islamgelehrte aus Europa, Asien und Afrika. Großmufti Ali GomaÕa, oberster Richter für Islamisches Recht, hatte die Schirmherrschaft übernommen. Der Großmufti ist zugleich allerhöchste Instanz für Rechtsgutachten. Seine Entscheidungen gelten Muslimen weltweit als richtungsweisend. Den Durchbruch brachte möglicherweise ein zweiminütiger Film, in dem die mit einer Glasscherbe vollzogene Prozedur dokumentiert wird.
»Unter vielen Wenn und Aber« habe die typisch arabische Beratung mit allerlei Nebenaspekten ihren Verlauf genommen, dennoch wurden einfachste Erkenntnisse möglicherweise erstmals ausgesprochen, erinnert sich Nehberg: So die Tatsache, dass die weibliche Beschneidung deutlich etwas anderes sei als ein Schnitt in der Vorhaut bei Jungen. »Das war den meisten nicht klar«.
Im Zentrum stand die Frage: Gibt es in den Heiligen Schriften eine verbindliche Aufforderung des Propheten, Mädchen zu verstümmeln? Dazu meinten die Gelehrten, es existiere ein Hadith (was der Prophet gesagt oder geduldet hat), von dem man bisher eine Sunna (vorbildliche, am Propheten orientierte Handlungsweise) abgeleitet hat. Ihr zufolge war die »leichte« Beschneidung von Frauen eine wünschenswerte Praxis. Die Hadithe werden in starke, das heißt absolut glaubwürdige, weniger starke und schwache Schriften eingeteilt.
Die Theologen wurden einig, dass der diesbezügliche Hadith als »schwach« einzustufen ist. Es blieb die Frage zu klären, ob eine »leichte« Verstümmelung als Körperschädigung zu bewerten sei. Dazu sagt der Koran: »Im Zweifelsfalle befragt die Wissenschaftler!« Der Rest war Formsache.

Artikel vom 29.12.2006