29.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Zivildienst als Symbol
gegen das Vergessen

Simon Schlimgen arbeitet in einer KZ-Gedenkstätte

Von Peter Monke
Eckardtsheim/ Vught (WB). Seine Zivildienstzeit hat Simon Schlimgen der Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte gewidmet. Seit vier Monaten arbeitet der 20-jährige Eckardtsheimer über die »Aktion Sühnezeichen Friedensdienste« in der Gedenkstätte »Nationaal Monument Kamp Vught«, die 1990 in Erinnerung an das ehemalige Konzentrationslager »Herzogenbusch« in den Niederlanden errichtet wurde.

Für die Zeit des Nationalsozialismus interessiert sich Simon Schlimgen bereits seit seiner Schulzeit. In der Oberstufe der Hans-Ehrenberg-Schule belegte er den Leistungskurs Geschichte, bei einer Klassenfahrt besuchte er das ehemalige Ghetto der Natonalsozialisten für Künstler, Musiker und Intellektuelle in Theresienstadt. »Dort hat ein Freiwilliger von Aktion Sühnezeichen unsere Führung begleitet. An ihn habe ich mich erinnert, als ich selbst vor der Frage stand, wo ich meinen Zivildienst absolvieren soll.«
Heute ist der Eckardtsheimer einer von 180 Jugendlichen zwischen 18 und 27 Jahren, die sich über Aktion Sühnezeichen für Völkerverständigung und Frieden sowie gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen. Schwerpunkt der Arbeit sind all jene Länder, die unter der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten besonders zu leiden hatten. Dazu zählen neben den Niederlanden auch Israel, Tschechien, die Ukraine, Frankreich, Russland, Belgien, Norwegen, Polen, Großbritannien, Weißrussland, die USA und sogar Deutschland selbst.
Die Gedenkstätte für das ehemalige Konzentrationslager (KZ) »Herzogenbusch«, in der Schlimgen derzeit arbeitet, erinnert zum Beispiel an ein Arbeitslager der Nationalsozialisten, in dem von Januar 1943 bis September 1944 etwa 31 000 Menschen gefangen gehalten wurden. Obwohl die Einrichtung als Modelllager die niederländische Bevölkerung von der »Harmlosigkeit« deutscher Konzentrationslager überzeugen sollte, kamen hier durch Krankheit, Hunger, Misshandlung oder Hinrichtungen 749 Menschen ums Leben. Tausende wurden darüber hinaus in Vernichtungslager deportiert und fanden dort den Tod. So gingen allein im Juni 1943 zwei Transporte mit 3000 Menschen - darunter 1200 jüdische Kinder - über Westerbork in das Vernichtungslager Sobibór im südöstlichen Polen.
Die Geschichte des Konzentrationslagers »Herzogenbusch« über die Organisation von Ausstellungen und Filmvorführungen in der Gedenkstätte weiterzutragen, gehört zu den Hauptaufgaben von Simon Schlimgen. Ende Januar soll er zum ersten Mal eine Besuchergruppe allein durch die Gedenkstätte führen. Angst vor der Begegnung mit Überlebenden des Konzentrationslagers hat er nicht. »Es ist ein wenig beklemmend, wenn man ehemalige Häftlinge trifft, aber wer die Gedenkstätte heute besucht, ist im Regelfall zur Aussöhnung bereit. Viele sind sogar dankbar, dass sich ein junger Deutscher der dritten Nachkriegssituation noch immer für ihre Geschichte interessiert.«
Sorgen bereitet Simon Schlimgen eher die Vorstellung, die Führungen komplett auf holländisch moderieren zu müssen. Um so gut wie möglich vorbereitet zu sein, hat der 20-Jährige nicht nur einen fünftägigen Sprach-Crashkurs im Goethe-Institut besucht. Er wohnt auch gemeinsam mit drei niederländischen Studenten in einer Wohngemeinschaft. »Verständigen kann ich mich dank Ýlearning by doingÜ mittlerweile gut, aber an den Feinheiten der Sprache hapert es noch ein wenig.«
Fragt man Simon Schlimgen nach den Motiven für sein Engagement, fällt häufig der Begriff »Verantwortung«. »Ich will gegen das Vergessen arbeiten und zeigen, dass man aus der Geschichte lernen kann«, sagt er. Mit Begriffen wie »Schuld« oder »Sühne« tut er sich dagegen schwerer. »Meine Generation ist nicht direkt verantwortlich, deshalb bevorzuge ich Wörter wie das englische ÝresponsibilityÜ (deutsch: Verantwortung). Darin steckt nähmlich auch das Wort ÝresponseÜ (deutsch: Antwort), und letztlich gebe ich mit meiner Arbeit eine Antwort auf die Ereignisse während der Zeit des Nationalsozialismus.«

Artikel vom 29.12.2006