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Kreisverbands-Vorsitzender Hans-Jürgen Kleimann (Jöllenbeck)

»Ein durchwachsenes Jahr 2006«

Bielefelder Landwirte ziehen Bilanz - Bürokratie und ihre Fußfesseln

Bielefeld (WB). »2006 war für uns Landwirte sehr durchwachsen«, resümiert der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Bielefeld Hans-Jürgen Kleimann zum Jahresende. Das Auftreten der Vogelgrippe und Schweinepest, eine nervenaufreibende Ernte, aber auch die Umsetzung der EU-Agrarreform sowie der anhaltende Bürokratismus hätten das Jahr geprägt.

Gleichzeitig könne der Berufsstand zuversichtliche Entwicklungen auf den Agrarmärkten vermelden. Doch hinkten die Einkommen auf den Höfen hinter der guten Stimmung hinterher, die wirtschaftliche Lage habe sich nicht verbessert. Die Unternehmensergebnisse im Jahr 2005/2006 seien sogar um 2,9 Prozent je Betrieb zurück gegangen. Damit liege das Einkommen etwa 17 Prozent unter dem gewerblichen Vergleichslohn, so Hans-Jürgen Kleimann, der in Jöllenbeck ansässig ist.
Zu schaffen machte den Bauern 2006 das Wetter. Das kalte Frühjahr, dann die außergewöhnliche Hitze und Trockenheit im Frühsommer, anschließend der Regen im August. Die Ernte lag unter dem Durchschnitt, dazu mit großen regionalen Unterschieden. Als erfreulich bewertet der Berufsverband allerdings die Tendenzen auf den Weltagrarmärkten. Hier sieht er eine »Zeitenwende« - weg von den Überschussmärkten hin zu knappen Nahrungsmittelmärkten.
Die weltweit steigende Nachfrage nach Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen (Bioenergie) würden die Agrarmärkte positiv beeinflussen. Dennoch, warnt der Bauernverband, dürfte die Zukunft nicht zu rosig gesehen werden. Die Landwirtschaft werde sich neben energiebedingten Kostensteigerungen auf viel stärkere Preisschwankungen einstellen müssen.
Nach wie vor ein Sorgenkind bleibt der Bereich Milch. »Die Zukunft der Milchbauern muss sich deutlich verbessern«, betont der Vorsitzende. Derzeit befinde sich der Milchsektor hinsichtlich Erlöse, Kosten sowie gesetzliche Reglementierung in einer Phase, in der eine Orientierung notwendig sei. So deute vieles auf ein Auslaufen der Milchquotenregelung im Jahr 2015 hin.
Um die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte zu erhalten, fordert der Berufsstand, dass der Zeitraum bis 2015, aber auch danach, schon jetzt gestaltet wird. Kleimann: »Wir brauchen rasche und definitive politische Entscheidungen.« Die Milcherzeuger müssten nach 22 Jahren Quote eine mittelfristige Planungssicherheit bekommen. Daher sei ein Ausstiegsszenarium durch die EU-Kommission und die Bundesregierung notwendig. Weiter fordert der grüne Berufszweig mit Blick auf die EU-Agrarpolitik: Die geplante Zwischenprüfung der Agrarreform im Jahre 2008 dürfe nicht zu einer erneuten Reform ausarten. Verlässlichkeit müsse, wie versprochen, bis 2013 gelten. Dies müsse Grundsatz sein bei den Finanzen und Marktordnungen. Darüber hinaus appellieren die Berufsvertreter an die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007: Ein wichtiges Anliegen müsse sein, bürokratische Fußfesseln abzustreifen. »Dabei kann es bei einer Verschlankung nicht nur um den Agrarbericht oder die Vor- und Rückseite des Tierpasses gehen«, erklärt der Vorsitzende. Beispielsweise sollte die überholte Flächenstilllegung abgeschafft und »zu komplizierte Regeln« überprüft werden.
Hinsichtlich der nationalen Politik resümiert der Landwirtschaftsverband nach mehr als einem Jahr der Großen Koalition: Die Landwirtschaft wird endlich wieder als ein wichtiger Teil der Wirtschaft gesehen. Eine Aufgabe muss aber auch hier sein, den Bürokratieabbau durch Bundesregierung und Länderregierung stärker als bisher voranzutreiben. Eine große »Baustelle« sei weiter die Saison-Arbeitskräfte-Regelung. In diesem Sommer scheiterte das Experiment, deutsche Arbeitslose anstelle von ausländischen Erntehelfern einzusetzen. Viele Betriebe hatten erhebliche Einbußen erlitten, weil zur Ernte die Arbeitskräfte fehlten. Kleimann: »2007 darf es keinesfalls eine Neuauflage geben.« Sorgen bereiteten den Bauern 2006 außerdem das Auftreten der Vogelgrippe und Schweinepest. Die Vogelgrippe verunsicherte nicht nur die Verbraucher, sondern brachte die Geflügelhalter in eine dramatische Lage. Infolge der Stallpflicht brach ihr Absatz komplett zusammen. Ebenso traf der Ausbruch der Schweinepest im Münsterland mit nach Kleimanns Worten überzogenen Restriktionen bis in die entfernten Landesteile - wie in Ostwestfalen - die Landwirte hart. Auf internationalem Parkett kam es zum Scheitern der WTO-Verhandlungen. Der Bauernverband bewertet dies als sehr bedauerlich. Die EU habe bei den Welthandelsgesprächen im Agrarbereich weitreichende Angebote gemacht. »Wie es jetzt weitergeht, ist nicht absehbar«, äußert Kleimann.
Zum Abschluss des Jahres blickt er dennoch optimistisch in die Zukunft: »Gerade in der Agrarpolitik hat sich einiges zum Positiven gewandelt. Die nächsten Jahrzehnte werden nicht einfacher, aber die Wertschätzung der Landwirtschaft wird steigen.«

Artikel vom 30.12.2006