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Über Seelsorge hinaus
half er auch praktisch

WESTFALEN-BLATT-Serie - Folge 15: Dr. Schliepstein

Von Ulrich Hohenhoff
Brackwede (WB). Seine Spuren hinterlassen hat Dr. Johann Ernst Schliepstein in Brackwede. Diese 15. Folge der WESTFALEN-Blatt-Serie »Anno dazumal« befasst sich mit dem Pfarrer, der am 30. Dezember 1872 starb.

Bis zu seinem Tod vor genau 134 Jahren lebte Johann Ernst Schliepstein bei seiner Tochter in Bielefel. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Pastorengräberfeld des evangelischen Friedhofs in Brackwede. In dem Buch »1151 bis 2001 Brackwede« von Karl Beckmann und Rolf Künnemeyer wird das Leben und Wirken des Brackweder Pfarrers eindrucksvoll beschrieben.
Johann Ernst Schliepstein wurde am 25. Februar 1799 in Lippstadt geboren. Sein Vater war Pfarrer dort, und Johann Ernst wuchs in einem Pfarrhaus auf, in dem man gesellschaftlich verkehrte und in dem die Wissenschaft gepflegt wurde. In seiner Heimatstadt besuchte er das Gymnasium und legte ein glänzendes Abitur ab. Anschließend ging Schliepstein nach Halle/Saale, um Philologie, Philosophie und Theologie zu studieren. Die Prüfung für das Lehramt legte er nach nur sechs Semestern erfolgreich ab. 1819 wurde er Hilfslehrer.
Doch, geprägt durch das Elternhaus, wollte Schliepstein Pfarrer werden, und so machte er das erste theologische Examen mit der Note »sehr gut«, schon 1820 das zweite. Der ausgebildete Theologe hatte keine Aussicht auf eine eigene Pfarrstelle, weil er erst 21 Jahre jung war. Deshalb nahm er zunächst eine Stelle an einem Gymnasium in Soest an, unterrichtete dort die Fächer Deutsch, Griechisch, Französisch und Religion. 1827 zum Konrektor berufen, schrieb Schliepstein für seinen kranken Vater Predigten und predigte auch selbst. Und, so geht aus den Aufzeichnungen hervor, er ließ die Predigten drucken und verkaufte sie zum Nutzen der Armen.
Johann Ernst Schliepstein, der 1821 Caroline Henriette Mertens, eine Tochter aus bemitteltem Haus, geheiratet hatte, bemühte sich von Soest aus immer mal wieder um eine Pfarrstelle. Als dem Theologen 1831 eine freie Pfarre in Brackwede oder Detmold angeboten wurde, entschieden er und seine Frau sich für Brackwede. Die Stelle trat Schliepstein am 18. Dezember 1831 an. Im Anschluss verwaltete er sie mehr als 30 Jahre lang. Als Pfarrer wurde er auch Ortsschulinspektor und beaufsichtigte Schulen und Lehrer seines Bezirks.
Über die Seelsorge hinaus wollte er praktisch helfen, sorgte für Hygiene, für den Gebrauch von Seife, für frische Luft in den Häusern, ließ Fenster einbauen, die geöffnet werden konnten. Zudem setzte er sich für die so genannten Spinnschulen ein, sorgte für Bau und Ausbau der Straßen von Brackwede nach Oerlinghausen, nach Friedrichsdorf und Halle. So fanden die wegen der Industrialisierung arbeitslosen Spinner wenigstens vorübergehend Arbeit und konnten Geld verdienen. Zudem war er Mitglied des »Brackweder Hülfsvereins«, der die Not unter den Spinnern lindern wollte.
Die politische Einstellung von Dr. Johann Ernst Schliepstein - er stand absolut treu zum preußischen Königshaus - trug ihm in den Unruhen des Jahres 1848 die Gegnerschaft der Demokraten und revolutionären Anhänger ein. Verbal gegen ihn und mit Steinen gegen die Fenster des Pfarrhauses. Sein theologischer Rationalismus machten ihm zudem den Pfarrer Johann Heinrich Volkening und die erweckten Kreise seiner Gemeinde zu Gegnern. Diese versammelten sich in Quelle und Ummeln und sollen das harte Wort geprägt haben, »Wir müssen ihn lebendig oder tot beten«.
Dennoch fühlte sich Dr. Johann Ernst Schliepstein offensichtlich wohl in Brackwede, kaufte sogar einen Kotten: Brackwede-Brock Nr. 27, vermutlich im Bereich »Grieses Hof«. Auf Vorschlag des Brackweder Amtmanns Köster wurde dem selbstbewussten, ehrgeizigen und beredsamen Pfarrer im Jahr 1855 der »Rote Adler Orden IV. Klasse« verliehen. Nach dem Tod seiner Frau heiratete Schliepstein 1858 ein zweites Mal, stiftete bei dieser Gelegenheit der Brackweder Kirche eine silberne Hostiendose.
Krankheiten in den Jahren 1866 und 1867 »machten den Pfarrer leidend«. Zwei Jahre später ging er in den Ruhestand. Zuvor bekam er aus Anlass seines 50-jährigen Dienstjubiläums noch mit dem »Rote Adler Orden III. Klasse« .
Die nächste Folge von »Anno dazumal« erscheint im Januar und beschäftigt sich mit dem Schulwesen in Senne.

Artikel vom 30.12.2006