12.01.2007
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»Den Frachter zu finden dürfte sich als höchst schwierig erweisen«, meinte Frederic. »Wenn Sie meine Meinung hören wollenÉ« Er zögerte.
»Natürlich würde mich Ihre Meinung interessieren«, sagte Nathan in eisiger Höflichkeit.
»Dann rate ich Ihnen, Ihre Zeit nicht hier auf der Insel zu verschwenden. Es bringt Sie nicht weiter. Es löst keines Ihrer Probleme. Sie sollten so rasch wie möglich nach Deutschland zurückkehren und zusehen, wieder in Ihrem alten Leben Fuß zu fassen. Es muss schließlich noch irgendwelche Verbindungen geben. Zu Ihrem früheren Beruf, beispielsweise. Als was haben Sie gearbeitet?«
Er verhört ihn regelrecht, dachte Virginia mit steigendem Unbehagen.
Sie spürte, dass auch Livia den Atem anhielt.
»Ich bin Schriftsteller«, sagte Nathan.
Frederic wirkte überrascht. »Schriftsteller?«
»Ja. Schriftsteller.«
»Und was haben Sie veröffentlicht?«
So kannst du nicht mit ihm sprechen, dachte Virginia.
»Mr. Quentin«, sagte Nathan, »Ihre Frau war so liebenswürdig, uns eine Unterkunft in diesem Haus anzubieten. Ich kann mich inzwischen allerdings nicht mehr des Eindrucks erwehren, dass dies offenbar ganz und gar nicht in Ihrem Sinn ist. Warum sagen Sie dann nicht einfach, dass wir gehen sollen? Es gibt kaum etwas, das wir packen müssten. In drei Minuten wären wir verschwunden.«
Virginia wusste, dass es Frederic mit jeder Faser danach verlangte, die Fremden wieder loszuwerden, aber dass ihn sein gutes Benehmen daran hindern würde, seine Frau derart bloßzustellen.
»Wenn meine Frau Ihnen eine Unterkunft in diesem Haus angeboten hat«, sagte er, »dann steht Ihnen diese Unterkunft selbstverständlich zu. Bitte betrachten Sie sich als unsere Gäste.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Nathan.
Wenn Blicke töten könnten, dachte Virginia, wäre keiner von beiden jetzt noch am Leben. Da sie Skye so sehr liebte, hatte sie noch nie zuvor die Abreise von dort herbeigesehnt, sie, im Gegenteil, stets gefürchtet.
Jetzt hoffte sie von ganzem Herzen, die nächsten zwanzig Stunden wären bereits vorüber und sie befänden sich schon auf der Brücke, die nach Lochalsh auf dem Festland führte.
Dienstag, 22. August
L
J
Das musste irgendwann so kommenÉ Übernahm nie Verantwortung für die arme KleineÉ Schlechteste Mutter, die man sich denken kannÉ Wäre wirklich besser gewesen, das Kind wäre gar nicht zur Welt gekommenÉ
Wie gemein sie doch sind, dachte Liz dann, wie bösartig und gemein! Auch ihnen hätte das passieren können!
E
Vierzig Minuten.
In den endlosen Gesprächen mit der Polizei hatte Liz immer versucht, sich um diese vierzig Minuten herumzumogeln, aber es ließ sich nicht leugnen, dass der Weg von ihrem Liegeplatz bis zur Imbissbude recht weit war - weiter, als Liz ihn damals zunächst eingeschätzt hatte. Zudem erinnerte sich der Verkäufer, dass die junge Frau, die ihm wegen ihrer Attraktivität aufgefallen war, ziemlich lange auf ihre Baguettes hatte warten müssen, da sich gerade eine größere Sportlergruppe mit Proviant versorgt hatte.
»Die junge Frau war sehr guter Laune«, erinnerte sich der Budeninhaber, »flirtete ganz schön heftig mit den jungen Männern. Ich meine, im Nachhinein wundert mich das schon. Wenn man bedenkt, dass sie ihr Kind allein zurückgelassen hatteÉ Also, da wäre man doch normalerweise etwas nervöser, oder?«
Irgendwie hatte sich jedenfalls das Bild der leichtfertigen, pflichtvergessenen Mutter schließlich auch bei den Polizisten verfestigt.
»Haben Sie Ihre Tochter denn oft allein gelassen?«, hatte einer der ermittelnden Beamten mit unüberhörbarer Verurteilung in der Stimme gefragt.
L
Einmal! Ein einziges Mal! Und ausgerechnet da musste sie spurlos verschwinden!
Die Küstenwache hatte die Umgebung abgesucht und nichts gefunden. Es hatte Befragungen unter den Urlaubern am Strand gegeben, aber niemand hatte ein kleines Kind allein am Wasser gesehen. Überhaupt war Sarah offenbar niemandem aufgefallen. Spürhunde durchkämmten tagelang das Gebiet um den Strand, ohne auf eine Spur zu stoßen. Als hätte der Erdboden Sarah verschluckt, einfach so, ohne großes Aufsehen. Als wäre plötzlich das eingetreten, was sich Liz immer insgeheim - und manchmal auch deutlich ausgesprochen - gewünscht hatte: Es gab Sarah nicht mehr.
»Das musste ja irgendwann so kommen«, war Betsy Albys Kommentar zu der Situation gewesen. »Dass du zu blöd bist, ein Kind aufzuziehen, war mir gleich klar. Und jetzt? Jetzt ist der Katzenjammer groß, wie?«
L
»Es gibt Väter, die entführen ihre Kinder, weil sie darunter leiden, zu wenig Umgang mit ihnen zu haben«, hatte eine Beamtin gesagt, mit der Liz am zweiten Tag nach Sarahs Verschwinden gesprochen hatte. Da jedoch hatte Liz zum ersten Mal seit dem Unglück - in Gedanken nannte sie es einfach das Unglück, weil das besser klang als mein Versagen - gelacht, wenn es auch kein freudiges Lachen gewesen war.
»Also, das können Sie bei Mike vergessen! Der hat Sarah vielleicht viermal in ihrem Leben gesehen, und das auch nur, weil ich ihm mit ihr die Bude eingerannt habe. Der hätte sie jedes Wochenende haben können, ich habe ihn angefleht darum.
Artikel vom 12.01.2007