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In romantischer Klangopulenz

Oratorienchor sang Bach-Werke

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Ende gut, alles gut. Trotz der im Vorfeld gehegten Sorge, der Tölzer Knabenchor, der nur vier Tage zuvor in der Oetkerhalle mit einer historisch angelehnten Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium brillierte, binde einen Großteil des Publikums, war dem Oratorienchor zwei Tage vorm Fest ein volles Haus beschieden.

Die Aufführungen hätten optisch und klanglich kaum stärker differieren können. Hier die nüchterne Bühne mit kleinem Knabenchor und Barockensemble, dort der von festlichem Schmuck umrankte Mega-Oratorienchor nebst Bielefelder Singschul' und einer Auswahl der Bielefelder Philharmoniker. Hier das authentisch-barocke Klangbild, dort die romantische Opulenz eines festlichen Konzertevents, das für viele unverzichtbarer Bestandteil der weihnachtlichen Einstimmung ist.
Bei Hartmut Sturm lag die musikalische Leitung in den Händen eines profunden Kirchenmusikers auf der einen und erfahrenen Animateurs großer Massen auf der anderen Seite. Beide Qualitäten verbanden sich in den Kantaten I bis III zu einem erbaulichen Hörbild, bei dem der Chor einmal mehr sein großes Stimmpotenzial klangschön und präzise leuchten ließ.
Mit der Partitur und ihrer zum Teil halsbrecherisch polyphone Satzstruktur vertraut, gingen die großen Chöre geschmeidig von der Kehle, derweil man in den Chorälen zu dezenter, einfühlsamer Ausdeutung fand.
Dass der Oratorienchor entgegen des allgemeinen Trends offensichtlich an Mitgliedern hinzugewonnen hat, kann generell nur begrüßt werden. Da sich der Zuwachs aber vornehmlich in den Frauenstimmen vollzog, musste man einen gewissen Verlust der Stimmbalance leider hinnehmen.
Beim vorangestellten »Magnificat« des Thomaskantors konnte man sich des Eindrucks indes nicht erwehren, dass das Werk mit großer Hast einstudiert wurde. Auf die frischen Tempi reagierte der Chor mit zum Teil staccatohafter Melismatik. Auf der anderen Seite neigte Sturm in den Soloarien und im Duett zu sehr gemessenen Tempi. Manch freudige Stimmung wollte sich so nicht recht erschließen, einnehmend eloquenter Gesangssolisten zum Trotz.
Allen voran Yvi Jänicke, die hier einmal mehr ihren facettenreichen Alt wunderbar einfühlsam und ausdrucksstark funkeln ließ. Als verkündungsbeseelter Evangelist mit Klangschmelz empfahl sich Victor Schiering, Cornelie Isenbürger stellte sich ganz in den Dienst der Sache und verbreitete unmaniriert reinen Sopranglanz, derweil Peter Schüler das Quartett als Bass von einnehmender Wärme und Wohlklang kongenial komplettierte. Zusammen mit dem engagiert aufspielenden Philharmonischem Orchester ergab all dies eine gelungene musikalische Einstimmung aufs Fest, die vom Publikum frenetisch honoriert wurde.

Artikel vom 27.12.2006