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Als der Magier Stenzel zum
Handball-König gekrönt wurde

WM 1978: Mit Jokern und viel Tempo zum bisher letzten Welttitel

Von Volker Krusche
Minden(WB). Mit Spielwitz und Tempo körperliche Robustheit besiegt: Deutschland schlägt die UdSSR im WM-Finale am 5. Februar 1978 in Kopenhagen vor 7000 Zuschauern 20:19 (11:11) und wird Weltmeister.

»Magier« Vlado Stenzel, der 1972 mit Jugoslawien Olympiasieger geworden war, wurde - mit einer Pappkrone auf dem Haupt - von seinen Spielern auf den Armen getragen. Unvergessen sind die Tore von Dieter »Jimmy« Waltke in der entscheidenden Phase des Endspiels, aus dem der gebürtige Hiller als »WM-Joker« hervorging.
Das Finale begeisterte nicht nur durch Spannung, sondern auch durch die Art und Weise, wie sich das deutsche Team als Mannschaft präsentierte. Trotz immer noch langer Aufbauphasen und dadurch viel weniger Angriffe als im heutigen Tempohandball präsentierten sich gerade Arno Ehret und Arnulf Meffle als exzellente Konterspieler und zeigten schon 1978 auf, wo das zukünftige Erfolgsgeheimnis liegen würde. WM-Dritter wurde die DDR mit bekannten Handball-Größen wie Wieland Schmidt, Frank-Michael Wahl, Günter Dreibrodt, Wolfgang Böhme oder Hartmut Krüger. Torschützenkönig wurde der spätere Göppinger Jerzy Klempel (Polen).
Die WM 1978 war in vielerlei Hinsicht Richtung weisend. Bereits im Vorfeld gingen zahlreiche Nationen das Championat, bei dem sich die ersten sieben direkt für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau qualifizierten, ernster als sonst an. In der Sowjetunion und Rumänien wurde die Meisterschaft gar nicht erst gestartet, in anderen Nationen wurde eine umfangreiche Zwangspause verhängt. Der kleine Inselstaat Island griff zu der ungewöhnlichsten Maßnahmen: Er zog sein Nationalteam, das sich aus nur 7500 aktiven Handballern rekrutierte, schon Mitte Dezember zusammen, um sich bei zweimaligem Training pro Tag den spielerischen Feinschliff zu erarbeiten.
Nachdem 1972 beschlossen worden war, dass nur alle zwei Jahre ein Turnier-Höhepunkt (Olympia und WM im Wechsel) stattfinden sollte, schaffte es Vlado Stenzel rechtzeitig, Talente, wie den mit 21 Jahren jüngsten Spieler im deutschen Team, Arnulf Meffle, an das Nationalmannschafts-Geschäft heranzuführen.
Andere Nationen hatten damit Probleme: Der rumänische National-Coach Nicolae Nedef hatte erst kurz vor der WM die zwei Routiniers Tudosie und Licu aus dem Kader komplimentiert. Und auch die CSSR verfolgte weiter den eigenen Absturz: 1967 noch Weltmeister, 1972 Olympiazweiter würde bei dieser WM lediglich der elfte Platz herausspringen.
Insgesamt hatten die letzten internationalen Veranstaltungen gezeigt, dass die Weltspitze enger zusammengerückt war. UdSSR-Trainer Anatoli Jewtuschenko hatte bereits im Vorfeld beide deutschen Mannschaften als härteste Konkurrenten für seine Auswahl bezeichnet.
Tempospiel war das neue Rezept, mit dem sogar Japan Erfolg hatte. Die Asiaten suchten ihr Heil in der »Flucht« und brachten einige renommierte Nationen mit Tempospiel zum Grübeln.
Letztendlich sind es aber zahlreiche Anekdoten, die neben dem Finalspiel in Erinnerung blieben. So stieß beispielsweise Kurt Klühspieß erst sehr spät zum deutschen Team, weil sein Prüfungstermin zum Industriemeister mit der WM kollidierte. Dank des Entgegenkommens von Handelskammer und Schule wurde seine Prüfung vorverlegt. »Erst Industrie-, dann Weltmeister«, brachte er den Ablauf der Dinge nachher lachend in die richtige Reihenfolge.
Als Publikumsliebling entpuppte sich damals die kanadische Mannschaft. Aus Kostengründen hatte der kanadische Verband die Ausscheidungsspiele gegen die USA mit zwei Auswahlmannschaften gespielt: Das Hinspiel in New York bestritt eine Ostauswahl, das Rückspiel in Edmonton eine Westauswahl. Bereits drei Wochen vor Beginn der WM war das Team um Trainer Wolf Blankeneau nach Dänemark gereist, scheiterte aber dennoch sieglos in der Vorrunde. Als Trostpflaster hatte die Odenser Brauerei »Albani« den besonderen Preis »einen Tag umsonst essen und trinken« ausgeschrieben - und zwar ausgerechnet für den Letzten der Gruppe A, was bei der Zusammensetzung Deutschland, CSSR, Jugoslawien und Kanada nur die Nordamerikaner sein konnten. »That's our trophy«, freute sich Blankeneau nach der Vorstellung seiner Mannschaft.

Artikel vom 30.12.2006