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Theodor Fontane

»Uns gehört die Stunde. Und
eine Stunde,
wenn sie glücklich ist, ist viel.«

LeitartikelUnsere und andere Sorgen

»Wunder«, das Wunder, Noah und wir


Von Rolf Dressler
Wenn das große Fest der Welt-Christenheit herannaht, strömt auf die Menschen, jung und alt, unermesslich vieles ein. Manches davon hätte noch klarer vorgetragen werden können, anderes wäre besser gar nicht gesagt oder in- szeniert worden, nur um vordergründig-flüchtige Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Wie zum Beispiel jene neapolitanischen Krippen, in denen der einstige argentinische Kicker-König Diego Maradona die Madonna ersetzt oder der medienmächtige Politiker Silvio Berlusconi einen Hirten verkörpert. Denn zu allem Überfluss schrieb die Deutsche Presseagentur (dpa) über dieses Ereignis auch noch folgende Zeilen: »Die Madonna und das Jesuskind, Josef, die Hirten, die Schafe, der Ochse und der Esel - wer kennt sie nicht, die Klassiker unter den weihnachtlichen Krippenfiguren ...?«
Die Menschheit wäre nicht die Spur ärmer, würde man ihr derlei Plattheiten ersparen.
Aufmerksamkeit und kritisches Nachdenken hingegen gebühren dem wohl nicht zufällig zur Vorweihnachtszeit vollendeten Vorhaben, das Wort der Heiligen Schrift neu zu fassen, als »Bibel in ge- rechter Sprache«. Nach den Vorstellungen ihrer Verfasser soll sie anders als die überlieferte Textfassung den Geist der Neuzeit at- men. Da werden aus Heiligen »Le- bendige«, Hirten gesellen sich »Hirtinnen« zu und den Jüngern »Jüngerinnen«, »Gott« findet sich als »der Ewige«, »der Name« oder als »Du, der Heilige, die Heilige« - so auch in der wundervollen Weihnachtsgeschichte nach Lukas.
Eine fundamentale Wandlung erfährt ausgerechnet auch das sechste Gebot. Anstatt »Du sollst nicht die Ehe brechen« heißt es nun plötzlich »Verletze keine Lebenspartnerschaft«. Der Zeitgeist unserer Tage macht offenbar selbst vor Gottes unvergleichlicher Botschaft nicht mehr halt.
Erklärtermaßen ließen sich die Ideengeber und Verfasser der »Bibel in gerechter Sprache« von den Wunschbildern einer »Geschlechtergerechtigkeit« und der »sozialen Gerechtigkeit« leiten, mit der Politiker vorzugsweise hausieren gehen. Doch sind wir nicht auf dem Holzweg, wenn der Staat unter sozialer Gerechtigkeit nur eine irgendwie gleichmäßige Verteilung der vorhandenen Güter versteht, die von oben zu verfügen sei, was zwangsläufig nur wieder neue Ungerechtigkeiten nach sich ziehen muss?
Staatliche Hilfen übrigens erzeugen bei den meisten Empfängern heutzutage weder das Gefühl, dafür auch eine Gegenlei- stung noch gar einen schlichten Dank schuldig zu sein. Man hat ja schließlich verbriefte Ansprüche.
Ganz andere, doppelt frohe Kunde indes kommt soeben aus dem fernen, bitterarmen Nicaragua. Ein Mädchen namens Milagro (zu Deutsch: Wunder) und ein Junge namens Noah, beide vor drei bzw. fünf Monaten wie zahllose Neugeborene in der »Dritten Welt« auf einer Müllkippe abgelegt, wurden von einem US-amerikanischen Missionarsehepaar vollkommen gesundgepflegt.
Es gibt so viele Weihnachtswunder, für die wir danken sollten.

Artikel vom 23.12.2006