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»99 Prozent auf alles« in Bethlehem

Weniger Besucher denn je - Kaum Weihnachtsstimmung im Heiligen Land

Von Shabtai Gold
Bethlehem (dpa). Wenige Tage vor Weihnachten herrscht in Bethlehem bittere Enttäuschung. »Bei uns herrscht keine Weihnachtsstimmung«, sagt Sami Awad von der palästinensischen Hilfsorganisation Holy Land Trust in Bethlehem.

Er erwartet in diesem Jahr weniger Pilger als je zuvor. Awad wirft israelischen Touristenführern vor, die ausländischen Besuchern mit Warnungen vor einem »Bürgerkrieg« von Besuchen in Bethlehem abzuschrecken. »Obwohl es in Bethlehem gar keine Kämpfe gibt«, sagt Abwad bitter.
Auf dem zentralen Krippenplatz stehen nur einige Einwohner der Stadt und eine kleine Gruppe von Touristen aus Singapur. Der Mangel an Besuchern hat der örtlichen Wirtschaft, die hauptsächlich vom Handel mit Weihnachtsschmuck und christlichen Andenken lebte, schwer geschadet. Einziger Lichtblick des Tages ist für die Einwohner die erwartete Ankunft der Erzbischöfe von Canterbury und Westminster zu einem »Solidaritätsbesuch«.
Ahmed, der am Krippenplatz Kaffee anbietet, klagt, er könne die Arztrechnungen seiner Frau nicht zahlen. »Vor zehn Jahren sind 70 bis 80 Touristenbusse gekommen, heute vielleicht gerade einmal fünf. Niemand bringt Geld in die Stadt«, sagt der verzweifelte Vater dreier Kinder.
Ein christlicher Verkäufer schreit über den Platz, er biete »99 Prozent Ermäßigung für alles«. »Damit ich wenigstens irgendetwas verkaufen kann«, erklärt er mit einem müden Lächeln. Zur Armut trägt noch bei, dass Israel nach Angaben des Bürgermeisters von Bethlehem, Victor Batarsi, für den Bau der Sperranlage im Umland von Bethlehem tausend Hektar Ackerland beschlagnahmt hat.
Neben Batarsis Büro steht ein riesiger Weihnachtsbaum, daneben hängt zur Dekoration eine Palästinenserflagge. Der christliche Bürgermeister spricht ärgerlich über den internationalen Boykott gegen die radikal-islamische Hamas-Regierung. »Dies ist die Regierung des palästinensischen Volkes«, betont er.
Chaled Jodeh, Mitglied des Stadtrats von Bethlehem, denkt ähnlich. »Der Westen will Hamas bestrafen, bestraft aber stattdessen das gesamte palästinensische Volk. Betlehem leidet besonders, weil die Sperrmauer unsere Stadt mit einer Blockade belegt.«
Kurz vor Weihnachten traf eine Zahlung von 50 000 Dollar (38 000 Euro) von der palästinensischen Regierung für die Feierlichkeiten in der Stadt ein. Das Geld solle jedoch nicht in Weihnachtsschmuck investiert werden, erklärt Batarsi. »Wir werden es verwenden, um ausstehende Gehälter zu bezahlen.«
Angesichts der kargen Umstände ist die Stimmung in der Stadt deprimierend. »Ich bin zwar Muslim, aber Weihnachten sollte doch eigentlich etwas Besonderes sein«, meint der Taxifahrer Ismail kopfschüttelnd.

Artikel vom 22.12.2006