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Ein Leben unter Palmen
und Brotfruchtbäumen
Alltag der 903 Bewohner auf Rasdhoo, einem der kleinsten Malediven-Atolle
Neulich brauchte Abdullah Shakir vom Rasdhoo-Atoll einen neuen Fernseher - der alte hatte seinen Geist aufgegeben. Gut, dass er auch wegen dringender Bankgeschäfte einen Termin in der Hauptstadt Male hatte und außerdem einen weiterführenden Kursus der Regierung für Verwaltungschefs besuchen musste: Da konnte Shakir gleich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Das Leben unter Palmen und Brotfruchtbäumen auf einem Atoll der Malediven mag manchem romantisch erscheinen - tatsächlich ist es mit vielen Einschränkungen verbunden, denn in einem Staat aus 1200 Inselchen, von denen nur gut 200 bewohnt sind, ist Infrastruktur ein Luxusgut. Wo Schnellboote den Zug ersetzen müssen, traditionelle Dhonis mit Bussen gleichzusetzen sind und Wasserflugzeuge als Taxi eingesetzt werden, ist es leicht nachzuvollziehen, dass der Tourismus mit seiner perfekten Organisationsstruktur einen Quantensprung der gesellschaftlichen Entwicklung ausgelöst hat.
Das Rasdhoo-Atoll ist geographisch gesehen eines der kleinsten der Malediven - aber als Verwaltungssitz des benachbarten, ungleich größeren Ari-Atolls nicht unbedeutend. 903 Menschen leben auf Rasdhoo und profitieren in besonderem Maße von der Nachbarinsel Kuramathi, wo Gäste aus aller Welt Traumurlaub in Stelzenbungalows über dem türkisfarbenen Wasser der Lagune verbringen oder sich in den gemütlichen Hütten dreier Resorts wohlfühlen. Mehrmals in der Woche haben die Feriengäste die Gelegenheit, mit dem Boot nach Rasdhoo überzusetzen. Doch der Zwei-Stunden-Trip kann kaum Authentizität vermitteln, denn in diesen 120 Minuten werden einige Geschäfte geöffnet, in denen Souvenirs made in Sri Lanka oder Indien verkauft werden. Vom wahren Inselleben bekommen die Urlauber nichts mit.
Knapp 40 Insulaner sind beispielsweise damit beschäftigt, die Lebensmittelversorgung der Insel zu sichern. Ein Boot, das der Gemeinschaft gehört, fährt einmal pro Woche nach Male, um dort alles Lebensnotwendige zu laden. Dazu gehört auch Kleidung, die in den zwei Boutiquen der Insel verkauft wird. Überhaupt ist das ehrenamtliche Zusammenwirken Trumpf, wie Inselbürgermeister Abdullah Shakir betont. Der Bau einer neuen Pier im Hafen, die Reinigung und gelegentliche Ausbesserung der sandigen Wege im Dorf - das alles zählt als Gemeinschaftsarbeit, der sich niemand verschließt. Privater Landbesitz ist möglich, doch Bürgerrechte erhalten Zugezogene erst nach fünf Jahren - und weil die Insel voll ist, werden derzeit keine Übersiedlungen erlaubt. Verwaltungschef Shakir, der früher mal Lehrer war, hat recht begrenzte Vollmachten, denn das Bildungssystem wird inhaltlich und finanziell von Male aus koordiniert, ebenso das Gesundheitswesen. Shakir muss aber dafür sorgen, dass Energie- und Wasserversorgung funktionieren. Lokale Steuereinnahmen gibt es nicht, und so ist die Verwaltung auch auf Spenden des Resorts Kuramathi angewiesen. Ein kleiner Inselrat entscheidet darüber, wie die knappen Gelder ausgegeben werden.
Die Verbindungen nach Male sind gerade wegen der Nähe zu Kuramathi exzellent. Die resorteigenen Schnellboote befördern die Einheimischen kostenlos zur Hauptstadt und zurück. Trotzdem - die Plätze sind knapp, und Shakir erzählt, dass er bei seinem nächsten Besuch in Male auch das Bargeld eines Fischers mitnehmen wird, um es auf das Konto der Familie einzuzahlen. Denn eine Bank gibt es auf Rasdhoo nicht.
Dafür aber eine große Schule, denn rund ein Viertel der Bewohner sind Kinder - und die Regierung achtet streng darauf, dass auch auf den abgelegenen Atollen Jungen wie Mädchen gleiche Bildungschancen haben. Kein Zweifel: Unter den islamischen Staaten dieser Welt gelten die Malediven als gelungenes Beispiel der Modernisierung, ohne dass die Religion ihre Bedeutung einbüßt. Freilich räumt Bürgermeister Shakir ein, dass es auch Probleme gebe. Zwar verfügt Rasdhoo über ein schmuckes Dorfgemeinschaftshaus, eine Videothek und einen Fußballplatz, auch bietet das nahe Resort zahlreiche Arbeitsplätze - dennoch haben die Krakenarme der internationalen Drogenmafia auch schon das kleine Atoll im Indischen Ozean erreicht.
All das sehen die Urlauber kaum. Sie wundern sich nur, dass es so viele halbfertige Häuser gibt. Aber ein Neubau braucht nun mal mehr Zeit als anderswo - und ist doch letztlich nur Ausdruck gesunden Wachstums. Immerhin wird die lokale Werft bestaunt, auf der große ozeantüchtige Fischerboote in Handarbeit aus Holz gefertigt werden. Und sie erhalten neben Wohnräumen und Küche auch Annehmlichkeiten wie DVD-Player, damit die Fischer länger auf dem Meer bleiben können.
Es ist 18 Uhr, die Touristen sind wieder auf ihre Hotelinsel zurückgekehrt. Zurück bleiben die Einheimischen: zartgliedrige, kleine, leise Menschen, die Harmonie ausstrahlen und glücklich sind auf ihrer autofreien Insel. Es muss doch was dran sein, dass so viele Touristen auf die Malediven kommen, um Ruhe, Einsamkeit und die Schönheit der Palmenstrände und Korallenriffe zu suchen. Thomas Albertsen

Artikel vom 30.12.2006