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Volkswagen

Zu viele Hände am Steuerrad

Es macht schon ein mulmiges Gefühl, wenn im Auto die Beifahrer dem Lenker immer wieder ins Steuerrad greifen. Verstärkt wird in dem Volkswagen die Unsicherheit durch die Gewissheit, dass zumindest ein Teil der Besatzung gerne mal auf Abwegen fährt.


Aktionäre und Mitarbeiter der Volkswagen AG hatten in diesem Jahr öfter Grund für ein mulmiges Gefühl. Der Mann am Steuerrad, Bernd Pischetsrieder, wirkte alles andere als sicher. Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch streute mehrmals Zweifel an der Kompetenz seines ersten Mannes -Êund zwar so, dass die Medien dies jedes Mal auch mitbekamen. Dass zwischendurch dann doch sein Vertrag überraschend verlängert wurde, hat für Pischetsrieder immerhin den angenehmen Effekt, dass nun die Abfindung höher ausfällt.
Anfang November war es soweit. Pischetsrieder trat zurück. Mit Audi-Chef Martin Winterkorn war rasch ein Nachfolger an der Spitze der nach Umsatz drittgrößten deutschen Unternehmensgruppe gefunden.
Nicht wenige trauen dem neuen Vorstandsvorsitzenden zu, dass er sich auf dem Stuhl zwischen Piëch und dessen Gegenspieler, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, besser behaupten wird als sein Vorgänger.
Aber da ist auch noch Markenchef Wolfgang Bernhard, der ebenfalls als Nachfolger Pischetsrieders gehandelt worden war. In regelmäßigen Abstand meldet irgendeine Zeitung, dass der von Daimler abgeworbene Manager nun ganz gewiss Wolfsburg den Rücken kehren wird.
Und da ist Wendelin Wiedeking, der nicht nur die Interessen des inzwischen größten VW-Aktionärs Porsche, sondern auch die der Eigentümerfamilie Piëch vertritt. Bislang fuhr der Konzern noch relativ sicher zwischen den Leitplanken des VW-Gesetzes. Sollte es fallen, woran die Europäische Kommission in Brüssel stark arbeitet, müsste Volkswagen wie jeder andere Konzern mit möglichen Angriffen durch Heuschrecken rechnen.
Gegen einen solchen Überfall schützen am besten ein nachhaltiger Unternehmenserfolg und damit hohe Aktienkurse. Mit dem Abbau von 7800 Stellen - ohne die mögliche Schließung des VW-Werks in Belgien - und der beschlossenen tariflichen Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich fuhr der Konzern 2006 weiter in die sichere Rentabilität. Zugleich deuten die noch vorläufigen Zahlen der Konzernbilanz auf neue Rekorde bei Umsatz und Absatz hin.
Aber nicht diese Nachrichten und auch nicht die neuen Automodelle beherrschen seit Monaten die Berichterstattung in den Medien. Stattdessen sieht man dort flackerndes Rotlicht, liest von Verhören und Durchsuchungen bei früheren Managern. Der ehemalige Betriebsratschef musste sogar wegen Fluchtgefahr hinter Gefängnismauern übernachten. Zusätzlich sorgte der 68-jährige Piëch für merkwürdige Schlagzeilen, indem er gerichtlich gegen Behauptungen vorging, er liebe grelle Krawatten mit Jagdmotiven und wisse selbst nicht die genaue Zahl seiner Kinder. Es hat auch etwas mit Piëch zu tun, wenn die Parteien der Bonner Koalition neuerdings ein Gesetz planen, dass ehemaligen Vorständen die Übernahme von Aufsichtsratsmandaten im gleichen Unternehmen verbieten soll.
Hochgeschätzt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder war der frühere VW-Personalvorstand Peter Hartz. Die Einführung der Vier-Tage-Woche 1994 und wenig später das Arbeitsplatzbeschaffungs-Modell »5000 x 5000« deuteten an, dass sich in der deutschen Wirtschaft doch noch etwas bewegen lässt.
Als Politikberater lieferte er nicht nur Ideen, sondern auch seinen Namen für mehrere Arbeitsmarkt-Reformen. Dies alles hat die »Hartz-Sex«-Affäre in ein neues Licht getaucht. Dass er selbst auch die Angebote des horizontalen Gewerbes in Anspruch genommen haben soll, fällt dabei viel weniger ins Gewicht als die Genehmigung von Lustreisen und Bordellbesuchen seines Betriebsratchefs Klaus Volkert. Die Beschäftigten müssen sich verraten fühlen. Nicht nur bei VW werden sich Arbeitnehmer bei künftigen »Zumutungen« fragen, womit denn die Betriebsräte, die einen eventuellen Arbeitsplatzabbau oder Arbeitszeitverlängerungen unterstützen, bestochen worden sind.
Von alledem will Piëch nichts gewusst haben. Glaubhaft ist das nicht. Doch Piëch lässt bei Volkswagen die Hand nicht vom Steuer, gleich, wer da sonst sitzt.

Ein Beitrag von
Bernhard Hertlein

Artikel vom 30.12.2006