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Gute Leute sichert man »auf Vorrat«

Trotz geringeren Wirtschaftswachstums sieht Norbert Walter Entlastung am Arbeitsmarkt

Frankfurt (WB). Nur 1,25 Prozent Wirtschaftswachstum, aber 500 000 zusätzliche Stellen in 2007 prognostiziert der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Prof. Norbert Walter, im Gespräch mit Bernhard Hertlein.

Unternehmer und Verbraucher, Politiker und Wirtschaftsinstitute glauben an eine Fortsetzung des Aufschwungs in 2007. Sie auch?Walter: Es sieht danach aus, dass es am Jahresanfang zunächst noch weiter aufwärts geht. Doch dies wird sich im Jahresverlauf ändern. Die Weltwirtschaft wird sich weiter abschwächen. Und auch in Deutschland wird die Ausgabefreude bei Firmen und Verbrauchern von dem, was die Politik beiden vorsetzt, sehr gedämpft.

Sie meinen die Mehrwertsteuererhöhung?Walter: Nicht nur. Zu den Maßnahmen der Regierung, die den Bürgern Geld entziehen, zählen auch die Kürzung der Pendlerpauschale, die Reduktion des Sparerfreibetrages und die Anhebung der Versicherungssteuer. Auch die sich abzeichnende Erhöhung der Krankenkassenbeiträge entzieht Geld für den Konsum. Die dagegenstehende Entlastung bei der Arbeitslosenversicherung kann das nicht ausgleichen. Unterm Strich wird dadurch nur ein Viertel der Mehrbelastung durch die Mehrwertsteuer zurückgegeben. Per Saldo werden der Volkswirtschaft gut 20 Milliarden Euro entzogen.

Dann ist die Ursache für den jetzigen Aufschwung nur Psychologie?Walter: Vor einem Jahr haben doch fast alle am Wirtschaftsleben Beteiligten fest geglaubt, in Deutschland könne nie mehr etwas gut gehen. Dass es dann anders kam, hat vor allem drei Ursachen:
Erstens haben die Unternehmen die neuen Abschreibungsmöglichkeiten genutzt und investiert.
Zweitens hat der Kaiser aus München mit den Gästen der Fußball-Weltmeisterschaft auch eine tolle Stimmung importiert.
Und drittens haben die Verbraucher, um der Mehrwertsteuer-Erhöhung zu entgehen, kräftig Vorkäufe getätigt.
So unerwartet die positive Entwicklung eingetroffen ist, so wenig nachhaltig ist sie auch. Ich wünsche mir selbst, dass ich nicht Recht behalten werde. Aber bezahlt werde ich nicht für gute Wünsche, sondern für gute Prognosen.

Wie lauten auf dieser Grundlage ihre Prognosen konkret?Walter: Das Wirtschaftswachstum wird von 2,5 Prozent in diesem Jahr auf 1,25 Prozent 2007 abgebremst. Die Inflationsrate beharrt bei zwei Prozent; also nicht Besorgnis erregend. Das setzt natürlich voraus, dass meine Einschätzung, dass der Ölpreis auf dem derzeitigen Niveau bleibt, auch eintritt. Der Euro wird noch ein Mal um zehn Prozent aufgewertet und damit ebenfalls die Preise dämpfen.

Und wie wird sich der Arbeitsmarkt entwickeln?Walter: Im Vergleich zu meinen anderen Prognosen überraschend positiv. Ich gehe davon aus, dass 2007 genauso viele neue Stellen geschaffen werden wie 2006, also knapp eine halbe Million.

Welche Gründe gibt es für diese in der Tat überraschende Prognose?Walter: Zunächst reagiert der Arbeitsmarkt auf konjunkturelle Veränderungen mit einer Verzögerung von etwa einem halben Jahr. Außerdem begreifen immer mehr Unternehmer, dass sie so zu sagen »auf Vorrat« einstellen müssen. Gute Leute werden in den nächsten Jahren knapp.

Heißt das auch, dass die Arbeitnehmer ihre Hoffnungen auf mehr Geld noch nicht aufgeben müssen?Walter: Dies hängt wiederum ganz davon ab, in welcher Branche sie ihr Geld verdienen. Löhne müssen sich am Markt orientieren, und da geht die Richtung in einigen Branchen durchaus nach oben. Wo gute Leute knapp sind und Aufträge abgearbeitet werden wollen, sollten die international wettbewerbsfähigen Unternehmen auch gute Löhne zahlen. Das heißt natürlich zugleich, dass dort, wo -Êwie in Krankenhäusern oder bei den Kirchen - die Einnahmen stagnieren oder zurückgehen, jede Lohnerhöhung dazu führt, dass der Verwaltungschef oder Bischof demnächst Leute entlassen muss. Wer quer durch die Landschaft Lohnerhöhungen predigt, stiftet also eine Menge Unheil.

In welchen Branchen sehen Sie bereits eine Knappheit bei den Arbeitskräften?Walter: Bei Ingenieuren -Êund ich fürchte, auch schon bei Ärzten. Letzteres rührt von der Unfähigkeit der Politik, das Gesundheitssystem zu reformieren.

Artikel vom 22.12.2006