21.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Fanta-Mord: Ist Arbeiter
nur ein Zufallsopfer?

Kein Hinweis auf Motiv - Familie schließt Freitod aus

Von Christian Althoff
Minden (WB). Nach dem Giftmord an dem Chemiearbeiter Johann I. (44) aus Petershagen hat die Polizei 200 Getränkeflaschen auf dem Gelände der Mindener BASF-GmbH & Co KG überprüft. »Es fanden sich aber keine weiteren Flaschen mit Zyanid«, sagte Polizeisprecher Werner Wojahn.

Johann I. war am Montag während der Nachtschicht an den Kühlschrank im Aufenthaltsraum gegangen und hatte eine mit seinem Namen gekennzeichnete Flasche Fanta herausgenommen, aus der er bereits am Freitag getrunken hatte. Der Familienvater nahm einen Schluck, verschloss die Flasche und brach bewusstlos zusammen. Er starb noch in der Nacht im Mindener Klinikum.
Weil schnell der Verdacht einer Zyanid-Vergiftung aufgekommen war (in dem Unternehmen wird Natriumzyanid verarbeitet), hatte die Obduktion in der Uni Münster unter extremen Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden. So wurde der Tote unter einer Abzugshaube seziert, um aufsteigende, tödliche Zyanid-Gase abzuleiten.
Johann I. ist möglicherweise ein Zufallsopfer gewesen: »Wir haben bisher keinerlei Hinweis darauf, dass jemand diesem Mann etwas Böses gewollt hat«, erklärte Staatsanwalt Christoph Mackel gestern. Die Familie des Toten sagte, Johann I. habe seine Arbeit bei der BASF geliebt und sei mit seinen Kollegen hervorragend ausgekommen.
Der Kfz-Schlosser war vor 14 Jahren mit Frau und zwei Kindern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Die Familie hatte immer eine Verbindung nach Deutschland gehabt, weil Johann I.s Großvater nach dem Krieg im Westen geblieben war. Johann I. hatte sofort einen Deutschkursus absolviert und zunächst als Zimmermann in Petershagen gearbeitet. Vor zehn Jahren hatte er die Stelle bei der BASF bekommen. »Er war dort sehr glücklich«, erzählt Elisabeth I. (42), die Schwester des Ermordeten.
Als es vor einem Jahr die erste Entlassungswelle bei der BASF in Minden gegeben habe, habe ihr Bruder gesagt: »Beim nächsten Mal bin ich auch dran.« Deshalb hatte Elisabeth I. ihm noch im Sommer geraten, sich auf eine freie Hausmeisterstelle zu bewerben, von der sie gehört hatte. »Johann hat gesagt, dass seine Kollegen so prima seien, dass er mit ihnen sogar private Probleme besprechen könne. Er meinte, ihm werde etwas fehlen, wenn er die BASF verließe.«
In der vergangenen Woche hatte Johann I. dann seine Kündigung zum 30. Juni 2007 bekommen - wie 129 weitere BASF-Mitarbeiter in Minden. Deshalb brodelt in dem Unternehmen seit dem Mordanschlag die Gerüchteküche. Ist ein Mitarbeiter angesichts der Kündigung zwei Wochen vor Weihnachten durchgedreht und hat aus Wut wahllos zwei Sprudelflaschen vergiftet? »Jedenfalls haben bei uns viele Mitarbeiter Zugriff auf das Natriumzyanid«, sagte gestern ein Arbeiter. Das Pulver werde in Fässern gelagert, die in gläsernen Schutzräumen stünden, um Gefahren sofort erkennen zu können. »Die Glasräume sind aber nicht abgeschlossen, da kann jeder rein«, sagte der Arbeiter. Dagegen erklärte BASF-Sprecherin Claudia Schneider, die Räume seien gesichert und könnten nur von einem begrenzten Mitarbeiterkreis betreten werden. Auch werde über die Lagermengen Buch geführt.
Die 14-köpfige »Mordkommission Kühlschrank« unter Leitung von Hauptkommissar Arno Wittop konzentriert sich derzeit auf die Belegschaft der Chemiefirma. Aber auch das private Umfeld des Opfers wird routinemäßig durchleuchtet. »Der Mann scheint allerdings ein unbeschriebenes Blatt zu sein«, sagt Staatsanwalt Mackel.
Vor vier Jahren hatten Johann I. und seine Frau Olga (42) in Petershagen ein rotgeklinkertes Haus gebaut. Nach einer Ehekrise war die Frau vor zwei Jahren ausgezogen. Am Dienstag kehrte sie in das Haus zurück, um sich der beiden dort lebenden Kinder anzunehmen. Die Tochter (19) besucht das städtische Gymnasium, der Sohn (20) ist bei einem Sicherheitsunternehmen beschäftigt. Tragisch: Auch Olga I. soll zum Jahresanfang ihre Arbeitsstelle verloren haben.
Einen Selbstmord des Arbeiters wegen drohender Arbeitslosigkeit schließt seine Schwester aus: »So ein Mensch war er nicht. Johann hätte seine Kinder nie alleine gelassen, sie waren sein Ein und Alles.« Vielmehr habe er bereits Kontakt mit anderen Firmen aufgenommen, um eine neue Stelle zu finden. »Johann gab nicht auf.«

Artikel vom 21.12.2006