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»Beim Thema Gewalt
die Reißleine ziehen«

Fußball: Die Bilanz des Horst-Dieter Knüppel

Bielefeld (WB). Am 23. April 2007 endet nach neun Jahren die Amtszeit von Horst-Dieter Knüppel als Vorsitzender des Fußballkreises Bielefeld. Grund genug, Bilanz zu ziehen. Gewalt auf den Sportplätzen, Nachwuchssorgen, Technisierung -Êim Gespräch mit den WB-Sportredakteuren Werner Jöstingmeyer und Stephan Arend blickt der 64-Jährige noch einmal auf die großen Themen zurück, die unter seiner Regie in Angriff genommen wurden. Ein Leben ganz ohne Fußball und Funktionärsarbeit kann sich Horst-Dieter Knüppel allerdings noch nicht vorstellen - wie er im großen WESTFALEN-BLATT-Interview verrät: »Wir sind derzeit dabei, für mich eine neue Position im Kreis Bielefeld zu schaffen.«

Sie hatten vor knapp drei Jahren beim letzten Kreistag angekündigt, dass es Ihre letzte Legislaturperiode sei, weil Sie u.a. mehr Zeit für Ihre Frau haben wollen. Freut sich jetzt Ihre Gattin auf Ihren bevorstehenden Ruhestand?Horst-Dieter Knüppel: Sie freut sich natürlich nicht, weil sie selbst zahlreiche Hobbies hat. Ich bin zwar schon jetzt Rentner, aber der Ruhestand lässt sich noch nicht realisieren. Wir sind derzeit dabei, für mich eine neue Position im Kreis Bielefeld zu schaffen.

An welches Arbeitsgebiet denken Sie da?Horst-Dieter Knüppel: Zum Beispiel die Vereinsberatung sowie die Aus- und Fortbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter. Viele Klubs brauchen Hilfestellung im Umgang mit dem Finanzamt. Ich bin schließlich auch noch offizieller Kreis-Ehrenamtsbeauftragter. Oft werde ich von den Vereinen gefragt, wie sie an ehrenamtliches Personal kommen und wie sich die Vereine bei ihren Mitarbeitern bedanken können. Allein der Punkt, welche sportliche Auszeichnungen durch die Verbände möglich sind, ist sehr gefragt. Dass ich mich als Kreisvorsitzender nicht wieder zur Wahl stelle, hängt allein damit zusammen, dass ich mich vom Alltagsgeschäft des Spielbetriebes lösen möchte.

Mit dem Jöllenbecker Markus Baumann haben Sie einen Nachfolger für den Vorsitz im Fußball- und Leichtathletik-Kreis gefunden. Wird es weitere personelle Veränderungen geben?Horst-Dieter Knüppel: Bis auf Lutz-Peter Oberschelp und wahrscheinlich Dieter Brüggemann hören fast alle Vorstandsmitglieder auf. Fest steht derzeit nur, dass sich Thorsten Werner für Reiner Koller als Kreis-Schiedsrichterwart zur Verfügung stellt und Thorsten Sewing offiziell den Vorsitz des Kreis-Jugendausschusses übernimmt. Gerhard Filges will als Vorsitzender der Kreisspruchkammer nicht weitermachen und für Gerda Winkler als Vorsitzende des Kreis-Leichtathletik-Ausschusses wird ebenfalls ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht. Der Bereich Breitensport soll eventuell einem anderen Ressort zugeschlagen werden.

Als Kreisvorsitzender waren Sie auch aktiver Schiedsrichter. Gab es in dieser Doppelfunktion Schwierigkeiten?Horst-Dieter Knüppel: Mein Vorgänger Egon Senf war auch Schiedsrichter. Diese Kombination hat offensichtlich Tradition in Westfalen. 60 Prozent aller Kreisvorsitzenden kommen aus dem Schiedsrichterbereich. Auf den Sportplätzen wird man zwar zunächst mit Skepsis betrachtet, aber durchaus akzeptiert. Ich glaube, dass meine Reputation immer sehr gut war. Ich war und bin immer für die Vereine da und kenne alle Leute, die in den Klubs etwas zu Sagen haben. Diese Kontakte kamen mir auch als aktiver Schiedsrichter zu Gute. Und dennoch: Meine Generation läuft langsam aus. Nicht alle neuen Funktionäre in den Vereinen kann ich einschätzen. Aber grundsätzlich hatte ich nie Probleme mit einer Spielleitung.

Die Gewalt auf Sportplätzen ist derzeit wieder ein aktuelles Thema. Wie sieht es damit im Kreis Bielefeld aus?Horst-Dieter Knüppel: Unsere Spruchkammersitzungen haben sich von 100 auf 30 pro Saison reduziert. Das ist kein Zufall. Da steckt konzeptionelle Arbeit dahinter. Im Spieljahr 1999/00 schien die Gewalt auch auf Sportplätzen in unserem Kreisgebiet zu eskalieren. Wir mussten sehr stark die Reißleine ziehen. Ein probates Mittel war, zwölf Mediatoren als Streitschlichter auszubilden, von denen noch heute zehn im Amt sind. Sie haben sehr stark mit den Problemvereinen gearbeitet und die Betroffenen an einen Tisch geholt. Man sprach vor brisanten Begegnungen miteinander und arbeitete das Geschehen auch nach dem Spiel gemeinsam auf. Ich habe türkische Vereinsvertreter sogar in Moscheen besucht, mich vorher auch mit den verschiedenen Glaubensrichtungen und Kulturen befasst. Das kam mir in den Gesprächen dann entgegen. Meine Gegenüber haben gemerkt, dass sich da wirklich jemand für sie interessiert. Paradebeispiele sind der SV Canlar, SC Türkiyemspor, FC Türk Sport, SC Bosporus oder TFC Steinhagen, die allesamt auffällig waren. Doch das galt auch für deutsche Klubs wie zum Beispiel Oldentrup. Heute werden diese Vereine meist sehr gut geführt, so dass es keine oder kaum noch Beanstandungen gibt.

Wo sehen Sie denn aktuell Problemzonen?Horst-Dieter Knüppel: Wir haben uns früher vor allem auf den Seniorenbereich gestürzt. Ein ruhiges und problemloses Kreispokalspiel zwischen Canlar und FC Türk Sport, wie es kürzlich stattfand, wäre überhaupt nicht möglich gewesen. Allerdings haben wir den Nachwuchs vernachlässigt. Seit ein oder zwei Jahren häufen sich die Probleme im Jugendbereich. Da müssen wir etwas tun, um sie in den Griff zu bekommen. Unsere Gewaltprävention ist übrigens nicht nur auf ausländische Vereine beschränkt. Die Integration funktioniert im Fußballsport besonders, weil eben alle Fußball spielen wollen.

Befürchten Sie Nachwuchssorgen im Fußballbereich?Horst-Dieter Knüppel: Es gibt zwar 14,4 Millionen Kinder bis 14 Jahren weniger als noch vor zehn Jahren, aber der Fußball nimmt eine Sonderstellung ein. Er ist in Deutschland Massensportart Nummer eins. Allerdings gibt es auch immer weniger männliche deutsche Kinder. Bei den Migranten ist ein Geburtenrückgang dagegen nicht spürbar. Und ihre Kinder spielen nicht Handball oder Volleyball, sondern Fußball. Allerdings fehlen oft ehrenamtliche Mitarbeiter, weil es in anderen Ländern das Ehrenamt so gar nicht gibt. Ein großes Potenzial liegt derzeit im Mädchenbereich. Unsere Frauenbeauftragte Heike Friedrich leistet sehr gute Arbeit und zieht durch die Lande. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Mädchenmannschaften im Kreis sind von 13 auf 37 angewachsen, und die Frauen-Kreisliga wird erstmals fast auschließlich mit heimischen Teams besetzt.

Wie intensiv ist die Zusammenarbeit mit den Schulen?Horst-Dieter Knüppel: Im Zusammenspiel Schule - Verein gibt es noch kein gutes Verhältnis. Um Talente zu gewinnen bietet der Kreis Bielefeld u.a. jährlich den Energie-Cup für Mädchen und den Sepp-Herberger-Tag an. Wir bieten den Schulen zudem sogenannte crash-Kurse an. Dabei steht nicht der leistungsbezogene Fußballbereich im Vordergrund, sondern der Breitensport. Die Arbeit des Schulsportbeauftragten muss intensiviert werden.

Die demographische Entwicklung zeigt, dass es zukünftig immer mehr ältere Menschen gibt. Wie reagieren Sie darauf?Horst-Dieter Knüppel: Wir fördern sehr intensiv den Altliga-Fußball. Mittlerweile gibt es 140 Altligamannschaften im Kreis Bielefeld/Halle. Derzeit laufen Gespräche über eine Serie der Ü 60-Mannschaften. Die älteren Fußballer sind zudem auch unsere Zielgruppe für die ehrenamtliche Arbeit.

Die Zuschauerzahlen und das Niveau gehen immer weiter zurück. Täuscht dieser Eindruck?Horst-Dieter Knüppel: Das kann ich nur unterstreichen. Es kommen weniger Zuschauer, weil zum Beispiel sonntags um 14 Uhr Formel I-Rennen übertragen werden. Außerdem wollen die Leute keine Spieler sehen, die selbst in der B-Liga nur des Geldes wegen für den Verein auflaufen. Auch die Ehrenamtlichen sagen sich: Warum soll ich den Platz umsonst abkreiden, wenn ein Spieler 1000 Euro bekommt und nicht einmal geradeaus schießen kann. Im Seniorenbereich haben mittlerweise 60 Prozent der Aktiven einen ausländischen Namen. Ohne sie würde es keinen Spielbetrieb geben. Doch auch mit ihnen identifizieren sich die Zuschauer deutscher Vereine nicht.
Bei der Weltmeisterschaft hat auch der Deutsche Fußball Bund reichlich Geld verdient. Ist ein Teil davon schon beim Fußballkreis Bielefeld/Halle eingetroffen?Horst-Dieter Knüppel: Nein, und ich glaube, da wird auch kein Geld ankommen. Es gibt einen Verteiler-Schlüssel für die Verbände, zudem ist das Geld zweckgebunden. Wenn ein Drittel für die Jugendarbeit bestimmt ist, bedeutet das nicht, dass die Vereine die Gelder bekommen. Der Verband kann sagen: »Wir investieren in die Ausbildung unserer Trainer.«

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Markus Baumann?Horst-Dieter Knüppel: Meine Philosophie ist: Lob, Dank und Anerkennung statt Strafen und Drohungen. Ich wünsche ihm und mir, dass er das beibehält. Ich wünsche ihm, dass er viel Zeit einbringen kann und ein gutes Team findet, das harmoniert. Schließlich hören drei Staffelleiter auf. Ich glaube, Markus Baumann wird es gelingen, die Interessen seines Vereines TuS Jöllenbeck und die des Fußballkreises zu trennen. Ganz ehrlich hatte ich aber gehofft, dass er in Jöllenbeck aufhört, damit erst gar nicht über mögliche Interessenkonflikte getuschelt wird. Grundsätzlich sind neue Ideen immer gefragt - auch Veränderungen, sofern sie Sinn machen. Ich glaube, dass Markus einen guten Draht zu den Vereinen finden wird.

Ärgert es Sie, dass Ihr Nachfolger schon vor seiner Wahl angekündigt hat, dass das C-Liga-Hallenturnier kein Zukunft hat - ein Turnier, das Sie ins Leben gerufen haben?Horst-Dieter Knüppel: An seiner Aussage ist ja ein Körnchen Wahrheit dran. Dieses Jahr zum Beispiel muss das Turnier ausfallen, weil wir keine Halle gefunden haben. Unser Gedanke war, gerade einmal etwas für die kleinen Vereine in der C-Liga zu tun. Mal abwarten, vielleicht hat Markus Baumann ja zu diesem Thema neue Ideen.

Wie fällt die Bilanz des Kreisvorsitzenden Horst-Dieter Knüppel nach neun Jahren aus?Horst-Dieter Knüppel: Wir haben mit einem guten Team viel bewegt und erreicht. Als Beispiel sei nur die gesamte Technisierung, bei der Hans-Günter Mrkwa federführend war, erwähnt. Die Arbeit hat Spaß gemacht, weil sie erfolgreich war. Es gab nur ganz selten Situationen, in denen ich meine Arbeit in Frage gestellt habe.
Durch mein Amt bin ich auch in andere Funktionen gerutscht - beim Stadtsportbund sowie in Kommissionen und Ausschüsse des DFB und des FLVW. Das erweitert den Horizont. Ich habe aber gemerkt, dass ich kein Verbandsmensch bin. Das ist nicht meine Welt. Es ist mir ein Greuel, mich den Verbandsstrukturen zu unterwerfen. Beim Verband bin ich als Querdenker verschrien.

Wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?Horst-Dieter Knüppel: Ich bin an zeitliche Grenzen gestoßen. Im Schnitt habe ich täglich sechs bis acht Stunden in meine Arbeit als Kreisvorsitzender investiert. Das habe ich nicht bereut. Allerdings habe ich bereut, dass ich nicht noch mehr Zeit hatte. Aus acht Stunden hätten durchaus auch zwölf werden können. Im Bereich Sponsoring zum Beispiel haben wir viel erreicht. Es hätte aber noch mehr sein können. Ich denke, in diesem Bereich wird mein Nachfolger Markus Baumann viel bewegen können.

Was hat Sie enttäuscht? Horst-Dieter Knüppel: Wir haben uns immer bemüht, die Altkreisvereine in unsere Ideen und Planungen mit einzubeziehen. So ist zum Beispiel auch im Altkreis das Hallenmasters entstanden. Mit mir hören in Hans-Jürgen Harder, Reiner Koller und Dieter Müller gleich drei Ehrenamtliche des Fußballkreises aus dem Altkreis auf. Ich bin enttäuscht, dass sich bisher noch niemand aus dem Altkreis bereit erklärt hat, ihre Nachfolge anzutreten.

Artikel vom 23.12.2006