30.12.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Varus-Schlacht

Neuer Streit um alte Schlacht

Lippe oder Kalkriese: Wo besiegte Hermann    der Cherusker die Legionen des römischen Feldherrn Varus?


Im Jahre 9 nach Christus fand die Schlacht im Teutoburger Wald statt. Eine Schlacht, die die Welt veränderte. Denn mit der Niederlage der Römer vor fast 2000 Jahren scheiterten die Eroberung von Germanien und seine Eingliederung in das römische Weltreich. Der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus ging im Herbst des Jahres 9 mit seinem Heer unter. Seine drei Legionen wurden vom Cheruskerfürst Arminius (Hermann der Cherusker) in einen Hinterhalt gelockt und besiegt. Hermann der Cherusker wurde zum Mythos, an den das 1875 eingeweihte 53 Meter hohe Hermannsdenkmal auf der Grotenburg im lippischen Detmold erinnert. Zwei Jahre vor den Jubiläumsfeierlichkeiten »2000 Jahre Varusschlacht - Imperium, Konflikt, Mythos« ist jetzt erneut heftiger Streit um den Ort der Schlacht im Teutoburger Wald ausgebrochen.
Im benachbarten Niedersachsen erforschen Archäologen seit 20 Jahren ein Schlachtfeld bei Kalkriese unweit von Osnabrück. Grabungsfeld und ein Museum können besucht werden. Die Verantwortlichen der gemeinnützigen Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH behaupten, dass Kalkriese Ort der Varusschlacht war. Eindeutige Beweise für diese These gibt es nicht. Dies wird von der Chefarchäologin der Ausgrabungsstätte Kalkriese, Susanne Wilbers-Rost, eingeräumt.
Außer Lippe und Kalkriese ist 2009 auch das Westfälische Römermuseum Haltern ein Ort des gemeinsamen Ausstellungsprojektes im Jubiläumsjahr. Das Projekt soll eines der herausragenden kulturellen Ereignisse Deutschlands werden. Erwartet werden 500 000 Besucher.
Nach Meinung von immer mehr Wissenschaftlern zeugen die Spuren in Kalkriese aber nicht von der Varusschlacht, sondern von Gefechten zwischen Römern und Germanen, die sich einige Jahre später nach der legendären Schlacht im Teutoburger Wald anlässlich der Rachefeldzüge des römischen Feldherrn Germanicus ereigneten.
Einer der schärften Kritiker der Kalkriese-These ist Dr. Peter Glüsing (79), ehemals Akademischer Oberrat am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Münster. Für Glüsing steht mit absoluter Sicherheit fest, dass die Varusschlacht im östlichen Westfalen stattfand. Die Tatsache ergebe sich schon jetzt aus den laufenden Untersuchungen zu einer Wiedersichtbarmachung der Feldzugsrouten des Germanicus in den Jahren 15/16 nach Christus, schreibt Glüsing in seinem Fachaufsatz »Die wahre Bedeutung Kalkrieses«. Diese Wiedersichtbarmachung erfolge mit Hilfe der bekannten römischen militärischen Überbleibseln, ob es sich nun um Lagerplätze, Münzen oder Ausrüstungsgegenstände handele, sowie in Verbindung mit der Auswertung von Nachrichten der antiken Geschichtsschreiber.
Im Herbst des Jahres 15 nach Christus habe sich der römische Feldherr Germanicus entschlossen, die Germanen, das heißt in diesem Falle, die etwa östlich von Minden, Bielefeld und Warburg herrschenden Cherusker von der norddeutschen Tiefeebene her anzugreifen und zu unterwerfen. 1000 Transportschiffe hätten im Sommer 16 nach Christus eine gewaltige Streitmacht (acht Legionen) im Emsmündungsgebiet angelandet. Von dort habe sich der Heereszug emsaufwärts, bis etwa in das Gebiet von Lingen und dann über die »Lingener Höhe« in Richtung Bramsche bewegt. Dort habe die römische Streitmacht zu Füßen des Kalkrieser Berges, an einer seit der Steinzeit genutzten Straßenroute, dem später so genannten »Hellweg vor dem Sandforde« ein großes Basis- und Versorgungslager angelegt. Einen regelrechten Nachschubplatz für acht Legionen sowie Hilfstruppen, darunter die germanischen Bataver und Chauken.
Nach einer schnellen Beendigung des Krieges mit den germanischen Brukteren während der Rachefeldzüge seien die Legionen des Germanicus aus dem Gebiet an der oberer Ems und der oberen Lippe auf das sehr wahrscheinlich über dutzende von Kilometern sich hinziehende Schlachtfeld der Varus-Niederlage, östlich von Teutoburger Wald und Egge gezogen - ein großes Areal zwischen dem südlichen Lipperland und der Diemel bei Warburg. Dort lagen seit dem Herbst 9 nach Christus die Überreste der Varus-Armee.
Die militärische Basis Kalkriese, die im damaligen Siedlungsgebiet der germanischen Angrivarier lag, sei im Jahre 16 nach Christus von den Angrivarieren selbst angegriffen worden. Germanicus, der zu diesem Zeitpunkt mit seinen Truppen bereits vom Versorgungslager am Kalkrieser Berg an die Weser gezogen war, um sich mit der Streitmacht von Arminius eine Schlacht zu liefern, habe damals den hohen Reiteroffizier Lucius Stertinius mit seiner Kavallerie nach Westen geschickt, um die Erhebung der Angrivarier niederzuschlagen. Dies gelang auch nach blutigen Verlusten auf Seiten der Angrivarier.
Die zum Teil wohl offenen Feldlager des römischen Heeres aber, die sich über mehrere Quadratkilometer unmittelbar nördlich des Kalkrieser Berges erstreckten, waren zerstört. Nachschub und Tross vernichtet, die römischen Wachmannschaften wahrscheinlich getötet. Alles was für 100 000 Legionäre und germanische Hilfstruppen aufgebaut worden war, war vernichtet oder geplündert.

Ein Beitrag von
Ernst-Wilhelm Pape

Artikel vom 30.12.2006