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Gift in der Sprudelflasche:
Zyanid-Mord im BASF-Werk

Arbeiter stirbt nach Anschlag - zwei Mindener Kriminalbeamte verletzt

Von Christian Althoff
Minden (WB). Mordanschlag im Mindener BASF-Werk: Ein Chemiearbeiter ist tot, zwei Kriminalbeamte liegen schwer verletzt im Klinikum. Die drei Männer sind möglicherweise mit Natriumzyanid vergiftet worden, das ebenso wirkt wie das bekanntere Zyankali.

BASF beschäftigt in Minden 480 Mitarbeiter. »Wir produzieren Koffein für die Getränke- und Pharmaindustrie sowie Pseudoefidrin, das gegen Bronchialerkrankungen eingesetzt wird«, erklärt Torsten Biedermann, Unternehmenssprecher am Mindener BASF-Standort.
Montagabend um 22 Uhr begann die Nachtschicht. In einer Arbeitspause ging ein Chemiearbeiter (44) in den Aufenthaltsraum und holte sich eine Flasche Limonade aus dem Kühlschrank, die er am Freitag hineingestellt hatte. »Der Mann nahm einen Schluck, schraubte die Flasche zu und brach bewusstlos zusammen«, sagt Polizeisprecher Werner Wojahn. Ein Notarzt brachte den 44-Jährigen ins Mindener Klinikum, wo der Arbeiter gestern um 0.39 Uhr starb.
Die Polizei war zunächst von einem Unglücksfall ausgegangen und hatte drei Flaschen aus dem Kühlschrank mitgenommen. Als ein Kriminalhauptkommissar (37) gestern früh um 7.10 Uhr den Fall übernahm und eine der Flaschen öffnete, brach er ebenfalls bewusstlos zusammen. Einem Kriminalbeamten (48), der neben ihm stand, wurde benommen. Die beiden Polizisten kamen mit einem Rettungswagen ins Klinikum Minden, wo sie noch immer behandelt werden. »Lebensgefahr besteht aber nicht«, sagte Wojahn.
Der Bittermandelgeruch, der der Flaschen entströmt sein soll, lässt vermuten, dass die Limonade mit Zyanid vermischt war. BASF verarbeitet Natriumzyanid - allerdings nicht in der Nähe des Aufenthaltsraumes. »Ein Unfall oder ein unbeabsichtigtes Vertauschen von Flaschen scheiden deshalb aus. Wir haben es mit einem Kapitalverbrechen zu tun«, erklärte gestern Staatsanwalt Christoph Mackel. Die Ermittlungen hat eine Mordkommission aus Bielefeld unter Leitung von Hauptkommissar Arno Wittop übernommen.
Das Opfer ist ein 44-jähriger Russlanddeutscher aus Petershagen, der Frau und Kinder hinterlässt. Ob der Anschlag gezielt gegen ihn gerichtet war, wird noch ermittelt. »Die Flasche, aus der der Mann getrunken hatte, war eine andere als die, die der Polizist geöffnet hatte«, sagte Staatsanwalt Mackel. Die Mordkommission sucht den Täter innerhalb der Belegschaft, denn der 44-jährige hatte bereits am Freitag an seinem Arbeitsplatz aus der Flasche getrunken. Da war die Limonade noch nicht vergiftet.
Natriumzyanid, ein farbloses Kristall, ist ebenso gefährlich wie Kaliumzyanid (Zyankali). Genetisch bedingt nehmen manche Menschen den Bittermandelgeruch nicht wahr. Das Gift greift in Zellprozesse ein und unterbricht die Atemkette - das Opfer erstickt innerlich, der Todeskampf dauert mindestens mehrere Minuten. Etwas mehr als ein zehntel Gramm sind für einen Erwachsenen bereits tödlich. Dabei kann der bloße Hautkontakt ebenso ausreichen wie das Einatmen.
Wegen dieser extremen Gefährlichkeit durfte der Staatsanwalt gestern auch nicht an der Obduktion teilnehmen, die am Rechtsmedizinischen Institut der Uni Münster durchgeführt wurde. Dort wurde der Leichnam unter einer speziellen Absauganlage seziert, die die Zyaniddämpfe aus dem Körper des Toten ableitete. In Münster wird nun auch der Inhalt der Flaschen untersucht.

Artikel vom 20.12.2006