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Mit Baby auf den Schulhof
Schülerinnen proben den »Ernstfall« und sind fünf Tage »Mütter auf Zeit«
Sich mit 14 schon um ein eigenes Baby kümmern? Statt mit Freunden abends unterwegs zu sein, ein Kleinkind füttern und wickeln? Sieben Mädchen der Hauptschule Versmold haben es ausprobiert: Sie waren fünf Tage und Nächte lang »Mütter auf Zeit«.
Joshua schreit. Christina (14) und Linda (15), zwei der sieben frischgebackenen Mütter, schauen sich an: Will der Knirps, gerade mal ein paar Stunden alt, die Flasche? Eine neue Windel? Oder will er einfach nur auf den Arm genommen werden? »Das klingt wie das typische Hunger-Schreien«, sagt Schulsozialarbeiterin Nina Bösebeck, die das Projekt »Babybedenkzeit« begleitet. Es soll den Mädchen eine realistische Einschätzung davon geben, was Eltern erwartet. Christina setzt die Flasche an den Mund des Babys. Ein zufriedenes Schmatzen und die plötzliche Stille im Klassenraum verraten: richtig geraten!
Joshua ist allerdings kein richtiger Säugling, sondern ein Baby-Simulator: Eine lebensgroße Puppe mit ausgefeilter Sensor- und Computertechnik, die die Bedürfnisse eines »normalen« Babys simuliert. Er will gefüttert, gewickelt, auf den Arm genommen werden, ein »Bäuerchen« machen. Und das Tag und Nacht. Die Sensoren registrieren, wenn die Flasche an den Mund gesetzt, die Windel gewechselt wird. Und sie verzeichnen jede unvorsichtige Bewegung und Misshandlung - zum Beispiel, wenn das Baby geschüttelt oder das Köpfchen nicht richtig abgestützt wird. Mit einem Glucksen zeigen die Baby-Simulatoren, wenn sie zufrieden sind -Êund lassen sich manchmal einfach einige Minuten lang auch gar nicht beruhigen, wenn sie nörgelig sind.
Das Baby schnell an die eigene Mutter abgeben, wenn's zu stressig wird -Êdas funktioniert nicht: Anhand von »ID«-Armbändern, die die Mädchen fest um die Handgelenke tragen, registriert die Puppe, ob sich wirklich die »richtigen« Mütter um ihr Wohlergehen sorgen. Rund um die Uhr versteht sich.
Die Schulbusfahrer, die die 13- bis 15-jährigen »Mamas« nach Hause bringen, müssen gleich zweimal hinschauen: Denn dass Mädchen vom Schulhof mit Kinderwagen oder Maxi-Cosi in den Bus steigen, passiert nicht allzu häufig. Dabei sind Teenager-Mütter gar nicht so selten: Bis zu 20 000 Mädchen unter 18 Jahren werden laut Statistik jedes Jahr in Deutschland schwanger. Die Schulsozialarbeiterinnen, die die Mädchen während ihrer »Elternschaft« begleiten, während des Unterrichts als »Nanny« die Babys betreuen und rund um die Uhr per Notfall-Handy erreichbar sind, wollen mit dem Projekt nicht abschrecken: »Wir möchten, dass die Mädchen die Belastung und die Verantwortung einer Elternschaft kennen lernen und entscheiden, wann sie dies für sich wollen«, sagt Sabine Grunt.
Was es bedeutet, in ihrem Alter ein Baby zu bekommen -Ê darüber sind sich die sieben Schülerinnen durchaus schon vor ihrer »Mutterschaft auf Zeit« im Klaren: »Ich hätte dann keine Zeit mehr, was mit Freunden zu unternehmen«, meint Christina. Außerdem müsse man an unendlich viel denken, wenn man mit einem Baby aus dem Haus gehe. »Ich möchte einfach mal sehen wie es ist, in unserem Alter ein Baby zu haben«, sagt Santana (15). »Wegen der Schule und der Ausbildung kann man sich ein Baby in unserem Alter sowieso nicht leisten«, ergänzt Lisa (13), die zu Hause ein Babybett für »Lars« aufgebaut und Babykleidung zurechtgelegt hat -Êdie Voraussetzung, um überhaupt bei dem Projekt mitmachen zu können. »Doch eigentlich finde ich es cool. Meine Mutter hat mir vorher an einem Teddy gezeigt, wie ich einen Säugling am besten halte.« Lisa ist die einzige, die sich alleine um eine Baby-Puppe kümmert. »Aber das wäre ja auch für eine alleinerziehende Mutter normal.«
Zum Babybedenkzeit-Projekt gehört der regelmäßige Austausch mit den Schulsozialarbeiterinnen und untereinander, eine Veranstaltung mit einer Hebamme, die den richtigen Umgang mit Säuglingen vorstellt, und auch das Thema Verhütung. Lisa ist sich nach ihrer »Bedenkzeit« jedenfalls sicher, dass sie in ihrem Alter kein Baby bekommen möchte. »Ich habe mir zuerst gedacht, es wäre einfacher, ein Baby zu haben.« Die anderen »Mütter auf Zeit« können ihr da nur zustimmen. Stefanie Hennigs

Artikel vom 30.12.2006