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Gutachter fehlt's
an Aussagekraft

Polizisten weiter in der Prüglerrolle

Von Gerhard Hülsegge
Bielefeld (WB). Der Prozess gegen die Bielefelder »Prügelpolizisten« Mike S. (33) und Ralf K. (38) geht in die nächste Runde. In der Revisonsverhandlung gestern vor dem Bielefelder Landgericht sah sich Dr. Carl-Ernst von Schönfeld (46) außer Stande, dem Opfer Michael D. (34) posttraumatische Belastungsstörungen zu attestieren.

Und das hatte seinen guten Grund: Der Bielefelder, der am 19. Mai 2005 auf der Herforder Straße von den Polizeibeamten zusammengeschlagen worden war, hat seine Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden. Die psychiatrische Begutachtung konnte somit nur nach Aktenlage erfolgen und fiel entsprechend dünn aus.
Die Polizisten waren, wie berichtet, im Februar 2006 vom Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsrichterin Astrid Salewski wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu je 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Bliebe es dabei, müssten sie aus dem Polizeidienst ausscheiden. Ihre Einlassung, vom unstreitig drogenabhängigen »Opfer« bezüglich Rauschgift angesprochen und dann angegriffen worden zu sein, hatte auch in der zweiten Instanz Bestand. Ihr Pech nur damals wie heute: Ausgerechnet die eigenen Kollegen, im Haus gegenüber als verdeckte Ermittler aktiv, hatten sie bei ihrem Tun beobachtet und schwer belastet.
»Ihre Befangenheit schreit zum Himmel, obwohl heute Nebel ist«, ging Rechtsanwalt Dr. Holger Rostek gestern gleich zu Sitzungsbeginn den Vorsitzenden Richter am Landgericht, Wolfgang Vincke, an. Der Chef der VI. Kleinen Strafkammer zeigte sich unbeeindruckt und fand es auch nach regem verbalem Schlagabtausch »widersprüchlich«, wenn das Opfer D. in einem Beweisantrag etwas bestätigen solle, was dieses nie gesagt habe.
Könnte es sein, dass Michael D. »autosuggestiv« gehandelt, sich bedrängt gefühlt oder gar Todesangst verspürt hat, weil er früher mehrere Meter von einem Auto mitgeschleift wurde. Oder hat er den Wochentag vergessen, weil er sich einer Leber-Transplantation unterziehen muss? Antworten auf diese Fragen hatte sich Rosteck, der neue Anwalt von Ralf K., vom Gutachter erhofft, um die Glaubwürdigkeit des »Junkies« zu untergraben, damit aus der Haft- eine Geldstrafe wird. Er bekam sie nicht. Auch sein Antrag, von Schönfeld möge bis zum nächsten Verhandlungstag (3. Januar 2007) ein schriftliches Gutachten nach Einsicht aller Akten anfertigen, wurde abgelehnt. Die Diagnose erfolgt nun mündlich nach Einvernahme des Zeugen.
Dass das Urteil danach milder ausfällt, ist ungewiss. Oberstaatsanwalt Rainer Kahnert: »Eventuell kommt ja noch eine Verurteilung wegen Verfolgung Unschuldiger in Betracht.«

Artikel vom 20.12.2006