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Mitgliederschwund bei den Parteien

Mit Jugendbildern zurück zu alter Frische

Der junge Rüttgers mit Pfeife und riesigen Tropfengläsern, Roland Koch als brutalst möglicher Grünschnabel und Christian Wulff zeigt den wahren Ur-Wuschel-Kopf: 1000 Delegierte beim CDU-Parteitag staunten nicht schlecht, als sie die Galerie der CDU-Granden in der Dresdner Messe erblickten.


Mit der gleichen Begeisterung, wie beim Blättern in verstaubten Familienalben daheim, wurde heftig gerätselt und gelacht, an damalige Zeiten erinnert und alter Jugendfrische nachgehangen.
Die insgesamt 19 Motive hatte die Hamburger »Kreativagentur shipyard« in den Blick gerückt. Die Bilder aus den Anfangsjahren politischer Tätigkeit sollten signalisieren, dass sich politisches Engagement lohnt. Die neue Imagekampagne ist Teil einer bis Ende 2007 laufenden Mitgliederkampagne »Farbe bekennen. Mitglied werden.«
Was allerdings weder die Werbeleute verraten, noch die CDU-Basis weiß: Die Sache ist ein alter Hut. Alles schon mal da gewesen.
»Die SPD hatte die Idee bereits 2003«, sagt Jörg Hüster aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin. Er verweist auf das längst vergriffene Faltblatt »In unserer Mitte ist noch Platz«. Es zeigte vor drei Jahren rund um einen weißen Fleck (»Sie hier!«) schon prominente und weniger bekannte Genossen. Der SPD-Flyer bringt 17 Porträts meist aus dem Jahr des Parteieintritts. So trug sich der Funkelektroniker Kurt Beck 1972 ein, der lippische Einzelhandelskaufmann Gerhard Schröder steht seit 1963 in den Parteibuch-Archiven. Auch Ute Vogt (1984, Studentin), Roland Kaiser (2002, Künstler) und Franz Müntefering (1966, Industriekaufmann) zählen zu den Vorzeige-Mitgliedern.
Wirklich aufregen scheint sich im SPD-Lager aber niemand über den Ideenklau im Auftrag des Adenauer-Hauses. Beide großen Volksparteien leiden unter einem massiven Mitgliederschwund. Selbst die raffinierten Hingucker haben 2003 bei der SPD nicht zu ausreichend Eintritten geführt. Seit Beginn der 90er Jahre haben die Sozialdemokraten 40 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Dieser besondere Genosse Trend ließ sich einfach nicht aufhalten.
Wirklich beruhigend ist im Brandt-Haus auch nicht, dass die SPD immer noch die größte Partei Deutschlands ist. Aktuell hat sie gerade noch 6500 Getreue mehr als die CDU mit 559 000 Mitgliedern.
Immerhin: Von Juni bis Ende November traten 5000 »Neue« der SPD bei, was die hohe Zahl der Parteiaustritte (20 000) und Sterbefälle (10 000) wiederum nicht ausgleicht. Einem internen Papier zufolge war ein Großteil der SPD-Ortsvereine bei der Mitgliederwerbung erfolglos. An der Basis ist vielerorts immer weniger los. Von 9300 Ortsvereinen machten nur 3600 bei der aktiven Mitgliederwerbung mit. 187 Ortsvereine erfüllten ihr »Soll«. Sie warben mindestens zehn Prozent neue Mitglieder.
Die Schröder/Agenda-Zeit 2003 und 2004 hat die SPD reichlich Mitglieder gekostet. Ende 2004 verbuchte die SPD noch 628 000 Mitglieder. 1998 waren es 755 000 gewesen.
Kein Grund zur Schadenfreude bei der CDU. Dort fällt die Mitgliederzahl stetig - zuletzt von 571 000 Ende 2005 auf jetzt 559Ê000. Sterbefälle und Parteiaustritte sind auch im schwarzen Lager Hauptgrund für den Schwund. Nur hinter der Hand werden Größenordnungen der »harten Fälle«, sprich Austritte aus politischen Gründen, gehandelt. Parteikreisen zufolge könnten 2006 mehr als 10 000 Christdemokraten ihre Mitgliedschaft aufgekündigt haben.
Die Mitgliederzahl fällt damit wieder auf das Niveau von 1974. Am Ende der Ära Kohl zählte die CDU 626 000 Beitragszahler.
Nebenbei: In Parteistatistiken wird die CSU (172 000 Mitglieder) gesondert geführt. Sie hat von 1993 bis heute gerade 4000 Mitglieder verloren.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat allen Grund, eine neue Mitgliederkampagne zu starten. Kein Hehl aus der drohenden Auszehrung macht auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU): Die Partei sei unbestreitbar durch Umfragen und Austritte verunsichert, sagt er. »Es wäre ein Zeichen von Arroganz und Selbstgerechtigkeit, wenn eine Volkspartei davon unberührt bliebe.«
Im Kreisverband Paderborn, wo die CDU vergleichsweise gut aufgestellt ist, wurde eigens mit Udo Neisens ein Mitgliederbeauftragter in den Kreisvorstand geholt.
Im Aufwind sind derzeit die drei kleinen Parteien im Bundestag, als letzte verbliebene Opposition in Zeiten der Großen Koalition. Beim Blick auf die längerfristige Entwicklung ist am allgemeinen Mitgliederschwund allerdings nichts zu deuteln. Die FDP fiel von 94 200 im Jahr 1993 auf 64 100. Die PDS stürzte unter wechselnden Namen von damals 131 400 auf 62 000.
Allein die Grünen konnten sich verbessern. Nach 39 700 Mitgliedern 1993 kletterten sie auf aktuell 45 000 eingeschriebene Parteigänger.

Ein Beitrag von
Reinhard Brockmann

Artikel vom 30.12.2006