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Mordpläne früh erkennen

92 Frauen Opfer von Bluttaten: Polizei will vorbeugen

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Die Polizei will Familienstreitigkeiten noch genauer analysieren, um Morden an Frauen vorzubeugen. Das hat Bielefelds Polizeipräsident Erwin Südfeld angekündigt.

In Rheda-Wiedenbrück wurde Angela T. (37) von ihrem Ex-Geliebten erwürgt, weil sie ihm keinen Tanga als Erinnerungsstück überlassen wollte. In Augustdorf tötete ein Mann seine Frau (22), weil sie schwanger war und er kein Baby haben wollte. Zwischen 2002 und 2005 hatte es in Ostwestfalen-Lippe 92 vorsätzliche vollendete oder versuchte Tötungsdelikte an Frauen gegeben, in 54 Fällen hatten die Opfer eine Intimbeziehung zum Täter. Diese Fälle hat die Diplom-Psychologin Karin Herbers vom Institut für Fort- und Ausbildung der Polizei in Neuss analysiert und die Ergebnisse gestern in Bielefeld vorgestellt.
Südfeld: »Die Studie zeigt, dass es in 40 Prozent der Fälle vor der Bluttat einen Polizeieinsatz gegeben hat, weil der Mann gegen die Frau gewalttätig geworden war.« Polizeidirektor Uwe Flöß sagte, Streifenbeamte müssten deshalb bei den jährlich 600 gemeldeten Familienstreitigkeiten allein in Bielefeld noch genauer hinsehen, um die Hoch-Risiko-Fälle herauszufiltern. »Wir werden dann den Mann massiv auf die Folgen seines Tuns hinweisen und in Extremfällen Frau und Kinder unter Polizeischutz stellen.«
Diplom-Psychologin Karin Herbers erklärte, 80 Prozent der Opfer seien in ihrer Beziehung von dem späteren Täter misshandelt worden, aber nur jeder zweite dieser Fälle sei der Polizei bekanntgeworden - obwohl Frauen oft Hilfe bei Kirchen, Gesundheitsämtern, Beratungsstellen und Rechtsanwälten suchten. Diese Stellen sowie das direkte Umfeld der Frauen wie Nachbarn oder Verwandte sollten sich spätestens dann an die Polizei wenden, wenn sie eine Gewalteskalation befürchteten.
Ein Vergleich mit einer Studie aus dem Zeitraum 1995 bis 1999 ergab: Die Zahl der Tötungsdelikte an Frauen durch Fremdtäter ging zurück, der Anteil der Tötungen durch (Ex-) Partner hat sich mehr als verdoppelt. Die Hälfte der Opfer waren Frauen, die in Deutschland geboren waren. Ein Viertel waren Aussiedlerinnen aus Osteuropa und ein Viertel Ausländerinnen. »Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil heißt das, dass Migrantinnen ein doppelt so großes Risiko haben wie deutsche Frauen«, erklärte Uwe Flöß. Deshalb dürften bei Ehestreitigkeiten in ausländischen Familien Gewalttaten gegen Frauen nicht, wie leider manchmal geschehen, als »kulturell bedingt« beschönigt werden: »Auch dort ist unser hartes Durchgreifen gefragt«, sagte der Polizeidirektor.
In Ostwestfalen-Lippe sind Polizisten im vergangenen Jahr zu 1970 Familienstreitigkeiten gerufen worden. In 727 Fällen verhängten sie ein zehntägiges Hausverbot gegen den aggressiven Partner - zumeist den Mann.

Artikel vom 20.12.2006