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Eine eigene Bleiche zum Weihnachtsfest

1872 investiert Hermann Windel 37500 Taler und gibt einem Senner Ortsteil seinen Namen

Von Annemargret Ohlig
Senne (WB). Es war vermutlich das schönste Weihnachtsgeschenk, das sich der 33-jährige »Bleicher Hermann Windel zu Sandhagen« (Gadderbaum), wenige Tage vor dem Fest - am 20. Dezember 1872 - selbst machte. An diesem Tag waren nämlich die Kaufverhandlungen für die »Scherpelsche Bleiche« in der Gemeinde Senne I mit dem Kaufmann August Wilhelm Kisker so weit gediehen, dass ein notarieller Vertrag in Angriff genommen wurde.

Für die nicht unerhebliche Summe von 37500 Talern wechselte das Gelände samt dazugehöriger Gebäude den Besitzer. Offiziell beglaubigt wurde dieses dann zehn Tage später - am 30. Dezember 1872. Für beide Partner war dieses wohl ein gutes Geschäft, denn nicht nur der Bleicherei-Fachmann war hoch zufrieden.
Auch der Bielefelder Kaufmann war froh über den geglückten Verkauf. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte Kisker von dem geschäftstüchtigen Senner Bauern Heinrich Christoph Scherpel das Gelände gekauft, um darauf das in den Kiskerschen Webstuben hergestellte hochwertige Leinen- und Damasttafelzeug nach einem neuen irischen Verfahren zu bleichen und auszurüsten.
Allerdings: Der Glaube, mit einem eigenen Bleichbetrieb besser dazustehen, war ein Trugschluss. Es gelang Kisker nicht, die Bleiche jemals wirtschaftlich zu betreiben. Außerdem war der Gesundheitszustand des Kaufmanns nicht mehr der Beste: Er hatte seit Jahren ein schweres Augenleiden, das fast zur Erblindung geführt hatte.
»Kisker sah sich genötigt, die Bleiche in der Senne, die ihm so manche Sorge bereitet hatte, in andere Hände zu geben«, heißt es in einem Dokument des Senner Heimatarchivs, dem »Geschichtlichen Rückblick beim 125-jährigen Bestehen von Windelsbleiche«. Als Problemlöser kam ihm deshalb der junge Bleicher Windel mit seinen Kaufabsichten gerade recht. Der 33-Jährige führte das erworbene Unternehmen von nun an höchst erfolgreich als »Windels Bleiche« weiter und entwickelte es zu einem der führenden Bleichunternehmen Deutschlands.
Das kam nicht von ungefähr. Die Windels sind ein altes Färbergeschlecht aus dem westfälischen Rahden, das mehr als drei Jahrhunderte lang dieses Gewerbe betrieben hat. Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg waren sie dort ansässig. 1773 packte Johann Konrad Ludwig Windel jedoch der berufliche Ehrgeiz - über den »Umweg« Osnabrück kam er in diesem Jahr nach Bielefeld. Hier übte er neben dem Färben auch das Drucken und Appretieren aus und errichtete 1797 eine eigene Appreturanstalt samt Färberei zwischen Notpfortenstraße und Oberntorwall, die nach seinem Tod 1802 sein Sohn Konrad Friedrich Windel übernahm.
Dessen Sohn wiederum, Karl Friedrich Windel, machte sich 1828 in Gadderbaum selbstständig - jedoch ohne dauerhaften Erfolg. Inzwischen hatte sich durch die Veränderungen in der Leinenindustrie herausgestellt, dass Appreturanstalten nur dann noch konkurrenzfähig gegenüber dem Ausland sein würden, wenn sie eine Verbindung mit Bleichen eingingen.
Eine Erkenntnis, die sich der älteste Sohn Karl Friedrichs, der am 3. Dezember 1839 geborene Hermann Windel, zu Herzen nahm. Mit dem Kauf der Scherpelschen Bleiche von August Wilhelm Kisker vollzog er 1872 als erster Windel den Schritt vom Färben und Drucken zum Bleichen.
l Die nächste Folge von »Anno dazumal« erscheint am Samstag, 30. Dezember, dem Todestag des Brackweder Pfarrers Dr. Johann Ernst Schliepstein.

Artikel vom 20.12.2006