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»Die Autorität des Premiers atmet den Hauch der Willkür und Despotie.«

LeitartikelFragen an Herrn Erdogan

Zypern,
Kumpanei
und Willkür


Von Jürgen Liminski
Autoritäten haben Antwortkompetenz. Manche aber bleiben die Antwort schuldig. Zum Beispiel der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan. Die Fragen an ihn betreffen das demokratische Gewaltengefüge der Türkei, und da müsste er eigentlich die erhellende Antwort des Zuständigen geben. Das geschieht nicht, wie selbst die EU in ihren Berichten wenig verklausuliert feststellt.
Zuständig ist Erdogan doppelt: als verantwortlicher Regierungschef und als unmittelbar Beteiligter. Hinzu käme noch der Anspruch, den Erdogan an sich selbst richtete, als er sich zur Wahl stellte: Schluss zu machen mit der Korruption am Bosporus. Heute, gut vier Jahre später, müsste er zum Beispiel folgende Fragen beantworten:
Wie kommt es, dass der Auftrag zum Bau der Ölpipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan im Wert von 1,5 Milliarden Dollar ohne Ausschreibung an die Gruppe Calik vergeben wurde, die Erdogans Partei AKP nahe steht?
Wie kommt es, dass das Unternehmen »Cengiz Insaat« seines Freundes Ibrahim Cecen die Aufträge für Arbeiten an den Hochgeschwindigkeitszügen zwischen Istanbul und Ankara zugesprochen bekam und kurz darauf die Preise um 50 Prozent stiegen?
Wie kommt es, dass die Company »Enerco«, die dem AKP-Mitglied Mehmet Fatih Baltaci gehört, eine dominierende Position bei der Verteilung von importiertem russischen Erdgas zugesprochen bekam? Und zwar ohne öffentliche Diskussion und nach einem Treffen mit Präsident Putin?
Wie kommt es, dass der frühere libanesisch-saudische Milliardär Rafic Hariri, der später als libanesischer Premier vermutlich von den Syrern ermordet wurde, die Turk Telekom für einen Spottpreis erwerben konnte, und zwar kurz nach einem vertraulichen Treffen mit Erdogan? Den Preis, über fünf Jahre zu bezahlen, konnte der neue Eigentümer schon in drei Jahren aus den laufenden Gewinnen hereinholen.
Wie kommt es, dass Erdogan die von einem moderaten Kemalisten und Aleviten geleitete Süzer-Gruppe mit illegalen Mitteln ruinieren will? Zunächst konfisziert der Staat die Bank der Süzer-Holding, vergibt sie an islamistische Freunde und weigert sich halsstarrig, die Beschlüsse sowohl des Obersten Gerichtshofes vom 23. Juni 2003 als auch des Staatsrates vom 11. Dezember 2003 und vom 21. Juli 2006 nach Rückgabe der Bank und ihrer Fonds an seine rechtmäßigen Besitzer umzusetzen. Der Fall liegt nun beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg.
Warum erkennt Erdogan die Republik Zypern nicht an, obwohl er es versprochen hatte, als es darum ging, dass die EU Beitrittsverhandlungen mit Ankara beschließt? War das nur so eine Idee oder ein Täuschungsmanöver?
Fazit: Erdogan nimmt es mit der Gewaltenteilung und Rechtstaatlichkeit nicht so genau. Seine Verbindungen zu russischen Oligarchen und islamistischen Kreisen sind zwielichtig. Die Autorität des Premiers atmet den Hauch der Willkür und Despotie. Das kann Europa nicht gebrauchen.

Artikel vom 21.12.2006