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»Rüttgers' Überholmanöver links an der SPD vorbei wurde selbst von den Liberalen höflich beklatscht.«

Leitartikel
Neue Zeiten in NRW

Meyers,
Rau,
Rüttgers


Von Reinhard Brockmann
Nur wenn Jürgen Rüttgers (CDU) über einen Skandal stürze oder Ostwestfalen vom Land NRW abfalle, habe Hannelore Kraft (SPD) 2010 eine Chance auf das Amt des Ministerpräsidenten. Das schrieb dieser Tage die eher rot-grüne als schwarz-gelbe »taz« aus Düsseldorf.
Der Rückzug von SPD-Landeschef Jochen Dieckmann und die schnelle Nominierung von Fraktionschefin Kraft für das höchste Genossen-Amt in NRW waren eine der eher seltenen Phasen, in denen sich die Medien mit der einst mächtigsten Partei an Rhein und Ruhr befassten. Auch den Ex-Ministern Axel Horstmann und Birgit Fischer waren die Oppositionsbänke im verlorenen Jahr 2006 zu hart geworden.
Ihre Wechsel zur Barmer Ersatzkasse bzw. zum Energieversorger EnBW lieferten nicht gerade die Art von Meldung, mit der sich die NRW-SPD wieder ins Gespräch bringen konnte. In den vergangenen fünf Jahren ist die Landespartei um 50 000 Mitglieder auf 153 000 geschrumpft. In Umfragen liegt man bei 31 Prozent, kaum besser als im Bund.
Voller Hoffnung blicken die Genossen jetzt auf den 20. Januar, wenn von einem Sonderparteitag in Bochum, mitten im Ruhrgebiet, mit Unterstützung von Kurt Beck das Signal ausgehen soll: »Wir in NRW kommen kraft-voll zurück!«
Anders die seit nunmehr eineinhalb Jahren fast unfallfrei regierende CDU/FDP-Koalition. Wie selbstverständlich hat Jürgen Rüttgers das Amt des Ministerpräsidenten an sich gezogen. Gezielt nährt er das Bild von einem Landesvater, der eigentlich nur zwei Vorgänger hatte: Franz Meyers und Johannes Rau. In Grundsatzreden streut Rüttgers auch gern das eine oder andere Zitat von Konrad Adenauer.
Nach Kräften gestützt wird er dabei von einem Kabinett, in dem die Elder-Statesmen Helmut Linssen (Finanzen) und Christa Thoben (Wirtschaft) geräuschfrei für handfeste Ergebnisse sorgen. Die Jungspunte Oliver Wittke (Verkehr) und Armin Laschet (Generationen) steuern Positiv-Schlagzeilen trotz Sparbeschlüssen bei, und Politik-Neuling Barbara Sommer (Schule) halbierte kurzerhand den Unterrichtsausfall.
Selbst die voll auf neoliberalem Kurs gestartete FDP kollidierte bis heute nicht mit Rüttgers' bestem Mann für ehrliche Politik, Sozialminister Karl-Josef Laumann.
Im Gegenteil: Rüttgers' Überholmanöver links an der SPD vorbei wurde von FDP-Landeschef und Vize-Ministerpräsident Andreas Pinkwart höflich beklatscht. Fachlich brachte der Professor für Chaostheorie das brisante Thema Studiengebühren durchs Ziel, ohne dass eine der zahlreichen Lunten Feuer fing.
Und die Grünen in NRW? Das Fähnlein der Aufrechten flattert weniger lustig denn je, seit Eckhard Uhlenberg (CDU) als Mann für alle Fälle hin und wieder dröhnt, ansonsten seine Vorgängerin durch Sachpolitik ver-höhnt.
Im übrigen leidet auch diese Ex-Regierungsfraktion unter Promi-Verlusten. Seit dem Wechsel von Michael Vesper ins Sportgeschäft fehlt ihr die komplette Genießer-Abteilung.

Artikel vom 22.12.2006