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Kevins tragischer Tod
wird neu aufgerollt

Heute beginnt in Bremen Untersuchungsausschuss

Bremen (dpa). Ein Fingerzeig weist den Beamten den Weg zu einem grausigen Fund. Mit der stummen Geste deutet der drogensüchtige Ziehvater des kleinen Kevin aus Bremen auf den Kühlschrank in seiner Wohnung - darin finden die Polizisten die Leiche des zwei Jahre alten Kindes.

Der tragische Tod des Jungen und die anschließend nach und nach bekannt werdenden massiven Fehler der Behörden in der Hansestadt lösen Trauer und tiefes Entsetzen aus. Der Fall wird nun angesichts der Vielzahl von Pannen der zuständigen und verantwortlichen Behörden von heute an in einem Untersuchungsausschuss behandelt. Alleine für die ersten drei Tage haben die Abgeordneten 24 Zeugen vor das parlamentarische Gremium geladen.
Entgiftung, Misshandlung, Gewichtsverlust, Heimaufenthalt, Knochenbrüche oder der ungeklärte Tod seiner rauschgiftsüchtigen Mutter, der Leidensweg des kleinen Kevin aus dem trostlosen Wohnviertel im Bremer Stadtteil Gröpelingen ist genau dokumentiert. Als die Behörden, unter deren Vormundschaft der kleine Junge stand, ihm am 10. Oktober zur Hilfe eilen wollen, kommt für Kevin jede Fürsorge zu spät. Das Kind ist seit Wochen tot. Ärzte, Pfleger, Bewährungshelfer und Behördenmitarbeiter begutachteten den Jungen. Eine Vielzahl von Warnungen über die Verhältnisse, in denen Kevin wohnte, oder über seinen Gesundheitszustand, führten aber nicht rechtzeitig zu nötigen Konsequenzen.
»Im Fall Kevin hat das Zusammenspiel der staatlichen Hilfen sträflich versagt«, bilanzierte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). »Ein schreckliches, unverzeihliches Versagen des Staates«, brachte es Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) auf den Punkt.
Nach Kevins Tod ließ Böhrnsen eine detaillierte Dokumentation zu dem Fall erarbeiten. Im Ergebnis stellt diese Dokumentation gravierende Fehler fest. Unter anderem haben der behandelnde Arzt des Drogensüchtigen sowie die Drogenbetreuerin der Mutter den Standpunkt vertreten, die Eltern könnten ihr Kind versorgen und betreuen. Auch habe sich der Vertreter des Jugendamtes sich nicht dagegen ausgesprochen. Es gab keine Überprüfung der Angaben der Eltern über den Umgang mit ihrem Kind. Zudem habe das Jugendamt nicht reagiert, als Zweifel an der Eignung der Eltern bekannt wurden.
Nach dem Fall Kevin wurde schnell der Ruf nach schärferen Gesetzen oder »Frühwarnsystemen« für Kinder laut. In der Hansestadt führte der grausige Leichenfund zu einem politischen Paukenschlag. Schon einen Tag später nahm Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) ihren Hut und räumte ein, von dem Fall gewusst zu haben. Gegen Mitarbeiter der Sozialbehörde wurden disziplinar- und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Doch das Schicksal von Kevin ist kein Ausnahmefall.
So spricht der Kriminologe Christian Pfeiffer zwar von einem leichten Rückgang der Fälle von Kindstötungen in den vergangenen 15 bis 20 Jahren, »ein Einzelfall« sei Kevin jedoch nicht.
Der Tod des Jungen war nicht das einzige grausige Verbrechen an Kindern in diesem Jahr. Einbetonierte oder skelettierte Babyleichen, das jahrelange Martyrium von Natascha Kampusch in Österreich, die für Wochen gefangen gehaltene und vergewaltigte Stephanie aus Dresden - Schicksale, die die Menschen schockierten. In Niedersachsen geben zwei Fälle den Fahndern Rätsel auf.
Den Tod der drei Jahre alten Nadine in Gifhorn sollen die Eltern über Jahre verschwiegen haben. Gegen den Vater wurde Haftbefehl wegen möglicher Kindesmisshandlung und Körperverletzung mit Todesfolge erlassen.
Zudem werden seit Monaten Karen Gaucke und ihr Baby aus Hannover vermisst. Eine Vielzahl von Suchaktionen blieb ohne Erfolg. Die Ermittler verdächtigen den Ex-Freund, die beiden getötet zu haben. Gegen den Mann wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Er bestreitet den Vorwurf.

Artikel vom 18.12.2006