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Kampf um lebensrettendes Medikament

Obwohl die Krankenkasse zahlen will, verweigern Ärzte einem Rentner wichtige Arznei

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Ein Rentner aus Detmold ist zwischen die Fronten von Krankenkassen und Ärzten geraten. Er muss um ein Medikament kämpfen, von dem sein Leben abhängt.

Günter Kruel (65) ist schwerbehindert. Die Liste seiner Krankheiten ist lang, 30 Operationen hat der frühere Karosseriebaumeister in den letzten Jahren über sich ergehen lassen. 2001 kam eine weitere Diagnose hinzu: Lymphknotenkrebs. Da der Ausgangspunkt im Zungengrund vermutet wurde, bestrahlten Ärzte des Paderborner Brüder-Krankenhauses die Zunge, um den Tumor zu zerstören. Eine Nebenwirkung dieser lebensnotwendigen Therapie war verheerend: Die linke Halsschlagader des Rentners verschloss sich bis auf einen Millimeter. Ein Chirurg der Städtischen Kliniken Dortmund setzte dem Detmolder deshalb einen Stent in die Halsschlagader - ein kleines Röhrchen aus Drahtgewebe, das das Blutgefäß dehnt und offenhält.
»Weil sich an dem Stent Blutgerinnsel bilden können, die einen Schlaganfall auslösen würden, muss ich für den Rest meines Lebens ein blutverdünnendes Medikament nehmen«, erklärt Günter Kruel. Urspünglich war ihm »ASS 100« verschrieben worden, doch als er darauf allergisch reagierte, verordneten ihm die Dortmunder Ärzte »Iscover 75« - ein erheblich teureres Präparat, von dem 100 Tabletten 250 Euro kosten.
Fünf Jahre bekam der Detmolder die Arznei von seinem hiesigen Neurologen verschrieben, die IKK Ostwestfalen-Lippe bezahlte ohne Beanstandung. Dann forderte die Kasse den Rentner allerdings auf, nicht immer gleich zum Neurologen zu gehen, sondern erst einen Hausarzt aufzusuchen. Günter Kruel wandte sich also an eine Allgemeinmedizinerin, und erfuhr als erstes, dass sie ihm kein »Iscover 75« mehr verschreiben werde - weil er das Mittel angeblich nicht mehr benötige. »Ich habe mich sofort an das Klinikum in Dortmund gewandt und die schriftliche Bestätigung bekommen, dass das Medikament für mich lebensnotwendig ist und die weitere Einnahme dringend empfohlen wird«, erzählt der Rentner. Doch die Ärztin blieb bei ihrer Meinung, ebenso ein weiterer Hausarzt, den Günter Kruel aufsuchte. »Iscover 75« ist gewöhnlich für eine höchstens sechsmonatige Behandlung vorgesehen. Verschreiben Ärzte das Mittel darüber hinaus (»Off-Label-Einsatz«), können die Krankenkassen die Kosten vom Arzt zurückverlangen. Deshalb befürchtet Günter Kruel, dass ihm das Medikament allein aus wirtschaftlichen Gründen verweigert wird.
In seiner Not wandte sich der Detmolder erneut an seinen Neurologen, der ihm aber entgegen der bisherigen Praxis auch kein Kassenrezept mehr ausstellt - und das, obwohl die IKK dem Arzt noch in der vergangenen Woche geschrieben hatte, sie habe »keine Bedenken« gegen die weitere Verordnung von »Iscover 75«. »Diese Erklärung der Kasse reicht mir nicht«, sagt der Neurologe, der Günter Kruel deshalb nur ein Privatrezept ausgestellt hat. Darauf steht: »Wunschverordnung, nicht erstattungsfähig.« Der Rentner muss die 250 Euro für das Medikament also auslegen und versuchen, das Geld von der Krankenkasse zurückzubekommen.
»Dass ich als schwerkranker Mensch einmal um meine Arznei bangen muss, hätte ich nie für möglich gehalten«, sagt Günter Kruel verbittert. Heute hat er einen Termin bei Helga Kühn-Mengele, der Patientenbeauftragten der Bundesregierung. Er hofft auf ihre schnelle Hilfe, denn seine Tabletten reichen nur noch bis Anfang Januar.

Artikel vom 18.12.2006