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Nach vier Tagen
war Leon tot

Mutter (20) ließ Kinder einfach allein

Sömmerda (dpa/Reuters). Für Leon kam der Rettungsversuch zu spät. Als sich Jugendamt und Polizei am Donnerstagnachmittag Zutritt zum Ort seines Martyriums in Sömmerda verschafften, war das Kleinkind bereits tot.
Kerzen und Plüschtiere für den toten Leon.

Der neun Monate alte, normal entwickelte Junge war in seinem Gitterbett verdurstet. Seine zwei Jahre alte Schwester Lena litt ein Zimmer weiter in einem Laufgitter und überlebte. »Sie schrie erst, als die zwei Beamtinnen ihr Zimmer betraten«, sagte ein Polizist am Freitag.
Die 20 Jahre alte Mutter der Kinder nahm die Polizei wenige Stunden später bei einer Freundin fest - wenige Straßen entfernt. Seit dem zweiten Adventssonntag hatte sie ihre hilflosen Kinder in der dunklen und seit mehr als einem Monat stromlosen Wohnung, in der es nach verdorbenen Lebensmitteln stank, nicht mehr besucht.
In dem Plattenbauviertel am Rand der 21 000 Einwohner zählenden Kreisstadt reagierten die Menschen entsetzt. »Als der Mann weg war, ging das los, da war sie nur noch fort und hat die Kinder alleingelassen«, erzählt eine ältere Frau. Das Jugendamt sei in letzter Zeit öfter da gewesen. »Doch sie hat die Leute nicht in ihre Wohnung gelassen und die Klingel abgestellt.«
Die junge und arbeitslose Mutter, die in einem Kinderheim aufwuchs, hatte reichlich Probleme. Weder Strom noch Miete konnte die 20-Jährige Hartz-IV-Bezieherin bezahlen, von ihrem Ehemann hatte sie sich im September, einen Monat nach dem Umzug von einer Drei- in diese Vier-Zimmer-Wohnung, getrennt.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Erfurt, Anette Schmitt, sagte am Freitag, die Frau habe im Verlauf der Vernehmungen die Vernachlässigung ihrer Kinder eingeräumt und erklärt, sie habe sich überfordert gefühlt. Laut Landratsamt Sömmerda wurde das Jugendamt erstmals am 15. November auf die Familie aufmerksam. Grund war der Hinweis von Nachbarn. Das Jugendamt habe daraufhin Kontakt aufgenommen und die Mutter besucht. Die Frau habe sich allerdings nicht kooperativ gezeigt. Weil Auflagen nicht befolgt worden sei, habe das Jugendamt am 29. November das Familiengericht informiert. Gefahr im Verzuge habe aber nicht bestanden. Die Kinder hätten weder einen hungrigen noch verwahrlosten Eindruck gemacht.
Das Jugendamt hatte danach versucht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder auf den Vater zu übertragen. Dieser habe sich zunächst auch kooperativ gezeigt, sei dann aber bei einem zweiten Termin vor dem Familiengericht nicht erschienen. Das Jugendamt habe sich dann entschlossen, die Kinder in Obhut zu nehmen. Der Gerichtsbeschluss ging am Donnerstag ein. Als auf das Klingeln und Klopfen niemand reagierte, baten die Jugendamtsmitarbeiter die Polizei um Amtshilfe. Da war Leon schon tot.

Artikel vom 16.12.2006