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Pädophiler bekommt
Kinder-Videos zurück

Panne bei Gesetzesänderung - Berlin reagiert

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Die Staatsanwaltschaft Detmold hat einem pädophilen Straftäter sichergestellte Videos mit Aufnahmen nackter Kinder wieder aushändigen müssen.

Grund sei eine unglückliche Formulierung im Strafgesetzbuch, sagte Oberstaatsanwalt Michael Kempkes. Im Bundesjustizministerium hieß es dazu gestern, das Problem werde im kommenden Jahr behoben.
Paragraph 176 des Strafgesetzbuches stellt den sexuellen Missbrauch von Kindern unter Strafe. Danach drohte bis 1998 unter anderem auch dem Täter eine Haftstrafe, der »ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt«. Oberstaatsanwalt Kempkes: »Wer etwa ein Kind aufforderte, vor ihm nackt und aufreizend zu posieren und davon vielleicht noch Fotos machte, konnte aufgrund dieser Vorschrift verurteilt werden - wegen Missbrauchs und Besitzes von Kinderpornographie.«
Die Regierung unter Helmut Kohl hatte den Paragraphen verschärfen wollen. Denn Pädophile, die Kinder per Telefon zu sexuellen Handlungen aufforderten, konnten nicht strafrechtlich verfolgt werden, da die Kinder die Handlungen ja nicht »vor dem Täter« vornahmen, wie es Paragraph 176 forderte. Das Gesetz wurde deshalb 1998 neu gefasst. Mit Strafe bedroht ist nun jeder, der »ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an sich vornimmt«.
Was bis 2006 keinem Juristen aufgefallen war: Aufgrund dieser Formulierung ist es nicht mehr strafbar, ein Kind aufzufordern, nackt und aufreizend zu posieren. Denn ein Kind nimmt in einem solchen Fall ja keine »Handlungen an sich« vor. Auch der Besitz von Fotos und Filme posierender Kinder ist somit nicht mehr unter Strafe gestellt. Das entschied in diesem Jahr der Bundesgerichtshof, als er ein Urteil des Landgerichtes Hagen aufhob - weil der Paragraph 176 eben das »Posing« nicht mehr als Missbrauch werte. »Ob dies rechtspolitisch gewollt war, kann dahinstehen«, heißt es in dem Beschluss 4StR 570/05.
Von dieser Entscheidung aus Karlsruhe wurden auch die Juristen am Detmolder Landgericht überrascht. Oberstaatsanwalt Michael Kempkes: »Die Polizei hatte bei dem Angeklagten so viele Fotos und Filme sichergestellt, dass ich ursprünglich eine Haftstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung fordern wollte.« Da der überwiegende Teil der Fotos und Videos aber »nur« posierende, nackte Kinder zeigte, kam der Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe davon - und der Oberstaatsanwalt musste das sichergestellte Material an den Verurteilten herausgeben.
Eine Sprecherin von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte, man sei sich des Problems bewusst und habe das Gesetz bereits neu formuliert. »Es hat die erste Lesung im Bundestag passiert und wird voraussichtlich 2007 verabschiedet.«
Wenn der geänderte Paragraph 176 in Kraft ist, wird Oberstaatsanwalt Michael Kempkes den Verurteilten anschreiben und ihn bitten, die Videos freiwillig herauszugeben.

Artikel vom 22.12.2006