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Ulla Schmidt auf den Zahn gefühlt

Gesundheitsreform im Disput mit Ärzten und »Geiselnehmern« verteidigt

Von Reinhard Brockmann
Bad Lippspringe (WB). Einem Arzt-Politiker-Gespräch, das nichts für Bluthochdruck-Patienten war, musste sich Ministerin Ulla Schmidt (SPD) am Dienstagabend im Heilbad Lippspringe stellen. Bei »SPD-Fraktion vor Ort« wurde die meistumstrittene Reform des Jahres auf Herz und Nieren geprüft.

»Die medizinische Versorgung ist gut«, bilanzierte die Bundesgesundheitsministerin im feinen Park Hotel mit wohl gesetzten Worten in ihrem Einführungsreferat. Hausarzt Thomas König hatte ganz genau hingehört. Im Streitgespräch bei Sabine Christiansen habe das noch geheißen: »Die Versorgung ist ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich.« Ein Abrutschen von »gut« auf »ausreichend« führe schnell zum »mangelhaft«, erinnerte König. Mit der Schule habe das nichts zu tun, konterte Schmidt und spürte, dass sie hier nicht so einfach davon kommen würde. Völlig überging sie den Hinweis, dass die medizinische Leistung längst rationiert sei. König: »Patienten warten auf Termine beim Orthopäden vier bis acht Wochen.«
»Sie haben ein tolles Referat gehalten,« stichelte Dr. Peter Brackmann und ergänzte, »leider kenne ich auch Ihre anderen Gesetze - die sind alle Murks.«
»Heben Sie die Mengenbegrenzung ärztlicher Leistungen auf«, forderte Gerhard Müller für die Kassenärztliche Vereinigung Paderborn. »Eine Grippewelle und das Budget ist früher aufgebraucht.« Schmidt riet erbost, das Gesetz zu lesen, genau das sei ausgeschlossen. Müller blieb hart, am Ende sei doch wieder alles gedeckelt. Müllers größte Sorge: Einzelverträge weichten die einheitliche Versorgung auf, einzelne Praxen blieben auf der Strecke.
Auch Schmidts persönliche Einladung nach Berlin verfing nicht: »Ich war schon viermal da.« Ein anderer rief: »Sie antworten nicht einmal auf unsere Briefe.« Man war mit Trillerpfeifen und guten Argumenten munitioniert.
»Ich heiße Toni Rimrot, bin Lobbyist - und Apotheker«: Der Paderborner fragte spitz, ob es doch nicht zum 500-Millionen-Sonderopfer für seinen Stand komme. Die Ministerin habe das Thema eingangs völlig ausgelassen...
Schmidt warb unbeirrbar für »eine Medizin, die bezahlbar bleiben muss«. Obwohl immer mehr Milliarden ins System gingen, treffe sie nur auf Klagen, dass Geld fehle. 50 Krankenkassen seien auch genug, sieben Spitzenverbände entschieden zu teuer, erklärte die Ministerin und sammelte erstmals Zustimmung im Saal - zumindest bei der Parteibasis.
»Ich bin einer der Geiselnehmer aus Soest«, (wo die Praxen gleich drei Tage dicht waren) durchkreuzte Dr. Hans-Heiner Decker prompt Schmidts stärkstes Argument: 352 Kassen hätten einst 7,8 Milliarden Euro für die Verwaltung verbraten, zwei Jahre später waren es schon 100 Kassen weniger, dennoch gingen 8,0 Milliarden Euro für Vorstände und Bürokratie drauf. Decker: »Was passiert, wenn die Einheitskasse kommt?«
Krankenkassen sollten zu »staatlichen Vollzugsorganen gleichgeschaltet werden«, meldete sich mit der FDP-Politikerin Brigitte Kesternich schließlich eine nichtärztliche Stimme, die der wackeren Ministerin allerdings auch nicht den Rücken stärkte.
Das werde »eine sehr emotionale Debatte«, hatte Gastgeberin Ute Berg schon vorher geahnt. Als Moderatorin des Abends lockte die Bundestagsabgeordnete händeringend, »auch die einfachen Beitragszahler sollten zur Wort kommen«. Vergeblich, niemand dankte den Politikern das Bemühen um bezahlbare Beiträge. Schmidt flog ziemlich entnervt noch am Abend nach Berlin zurück: Man werde ja sehen, wann das System vor die Wand fahre - mit der Reform oder wenn es jedes Jahr ungebremst 10 Milliarden teurer werde.

Artikel vom 15.12.2006