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Eine ganze
Stadt in Angst

In Ipswich keine Spur vom Serienkiller

Ipswich (dpa). Im südostenglischen Ipswich regiert die nackte Angst. Fünf Frauenmorde in zehn Tagen - und vom Täter nicht eine Spur.

Mehr als 250 000 Pfund (370 000 Euro) Belohnung sind inzwischen ausgesetzt und Premierminister Tony Blair sagte im Unterhaus, in der Bevölkerung gebe es eine »vollkommen verständliche Angst«. Trotz weihnachtlicher Beleuchtung sind die Straßen der 140 000-Einwohner-Stadt nach Ladenschluss wie ausgestorben. »Wir sind alle furchtbar geschockt«, sagt die Kassiererin einer Tankstelle. »Man fragt sich doch, was passiert, wenn er nicht nur Prostituierte, sondern Frauen überhaupt angreift.«
Vermutet wird, dass es sich bei dem Täter um einen knapp 30-jährigen Mann von weißer Hautfarbe handelt, der gute Ortskenntnisse hat. »Dieser Mörder schlägt zu, weil er sich damit über die Polizei lustig machen kann«, warnt der Gerichtspsychologe Keith Ashcroft. »Ich glaube, er verspottet sie. Vermutlich hegt er einen Groll gegen die Polizei. Er will sie als inkompetent erscheinen lassen.«
Die erste Leiche war am 2. Dezember gefunden worden, die letzte am vergangenen Sonntag. Alle Opfer, 19 bis 29 Jahre alt, zählten zur Rotlichtszene und lagen über eine Strecke von knapp 15 Kilometern am Rande der vierspurigen Schnellstraße A14. Kleider hatten sie keine mehr an, keine der Leichen wies aber Spuren einer Vergewaltigung auf. Sie wurden erwürgt oder erdrosselt - und nicht am Fundort umgebracht. »Highway des Grauens« wird der Teil der A14, die Ipswich mit dem Hafenort Felixstowe an der Nordsee verbindet, inzwischen von manchen genannt.
Der Täter, sagt Chefermittler Stewart Gull, sei »in der britischen Kriminalgeschichte einzigartig«. Zwar habe seinerzeit der als »Yorkshire Ripper« berüchtigte Peter Sutcliffe mindestens 13 Frauen umgebracht - dies aber in fünf Jahren. »Fünf Frauenmorde in nur zehn Tagen gab es bei uns noch nie«, sagt Gull. »Wir tun alles, um ein weiteres Gewaltverbrechen zu verhindern.«
Dass seit Sonntag keine weitere Vermisste gemeldet wurde, sehen die Experten dabei keineswegs als Grund zur Beruhigung. Der Forensiker Michael Berry sprach in der Zeitung »Guardian« aus, was den Leuten in Ipswich die größte Sorge macht. »Ich glaube, dass er weiter mordet, bis er gefangen ist. Das wird ein Intelligenzspiel zwischen ihm und der Polizei.«
Trotz der Gefahr versuchen unterdessen noch immer einige Frauen im Rotlichtviertel Freier aufzutun. »Wir wissen, dass sie Geld für Rauschgift brauchen«, sagte gestern der Chef der Verwaltung der Grafschaft Suffolk, Jeremy Pemberbrock. Die meisten der drogensüchtigen Prostituierten hätten allerdings inzwischen eine vom Stadtrat von Ipswich beschlossene finanzielle Soforthilfe angenommen und blieben der Straße fern.

Artikel vom 14.12.2006