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Käpt'n Hucks Eintrittskarte
ohne sportlichen Nutzwert

Bielefelder ist Box-Europameister - Gegner flüchtet aus dem Ring

Von Oliver Kreth
Kempten (WB). Seinen ersten Titelfight im Boxen hatte sich der Bielefelder Marco Huck auch anders vorgestellt. Das Resultat stimmte zwar, doch der Europameister-Titel ist eine Eintrittskarte ins ganz große Geschäft ohne sportlichen Nutzwert.

Denn bereits nach 5 Minuten und 58 Sekunden war der Kampf im Cruisergewicht in Kempten vor 2500 Zuschauern beendet. Aber nicht durch eine Rechte oder Linke des 22-jährigen Deutschen. Zwei Sekunden vor dem Gong der zweiten Runde war Gegner Pietro Aurino aus dem Ring geflüchtet.
Der Italiener hatte zuvor dem ehemaligen Kickbox-Weltmeister mit einem absichtlichen Kopfstoß die Nase gebrochen. Ringrichter Jean-Louis Legland aus Frankreich stoppte den Fight, verwarnte den 30-jährigen Ring-Routinier, es war sein 40. Kampf, und zog ihm zwei Punkte ab. Daraufhin kletterte der Mann aus Neapel durch die Ringseile und konnte nur mit Mühe von seinem Team zur Rückkehr bewogen werden. Zu spät. Denn bereits nach 20 Sekunden muss ein Kämpfer wieder im Ring sein - sonst hat er das Duell verloren. Bei der Verkündung des Urteils durch Sprecher Michael Buffer, Sieg durch technischen k.o., und der Überreichung des EM-Gürtels durch die EBU-Delegierte Mariana Borissova aus Bulgarien pfiffen die Zuschauer, und auch »Käpt'n Huck« schaute nicht besonders glücklich.
Denn der Kampf sollte eine echte Standortbestimmung für seinen weiteren Weg in die Weltspitze sein. Huck frustriert: »Er hat ja schon im Vorfeld einiges Unsportliche von sich gegeben. Aber dass er so unfair ist, damit hatte ich nicht gerechnet.« Traurig war auch sein Trainer Ulli Wegner: »Ich bin ja für Überraschungen empfänglich, aber die Flucht eines Weltklassemannes habe ich in meiner langen Laufbahn noch nicht erlebt. Der Anfang ließ vermuten, dass es ein spannender Kampf werden würde. Für mich wäre es natürlich wichtig gewesen, zu sehen, ob Marco die Nerven auch länger als zwei Runden im Griff gehabt hätte.«
Denn der Bielefelder, der erst seit zwei Jahren im Boxring steht, gilt als Draufgänger, als Mann, der einen Kampf vorzeitig beenden will. Bei 14 seiner 17 Kämpfe ist ihm das jetzt gelungen. Aber natürlich fehlt noch die Routine. Gegen den »Killer« aus Italien präsentierte er sich aber cool, ließ sich von dessen Mätzchen nicht aus dem Konzept bringen, stand kompakt hinter der Deckung und schickte immer wieder Schlaghagel auf seinen Rivalen nieder. Nur ganz kurz ließ Huck die Maske der Konzentration fallen. Nach dem Kopfstoß und anschließendem Gerangel verpasste er dem Kahlschädel einen Sidekick, an den »ich mich nicht erinnern kann«. Was ihm keiner abnahm. Aber Wilfried Sauerland hatte dafür Verständnis: »Das war ein Reflex.«
Von der Hitze des Gefechtes war der Promoter nicht überrascht, denn »in einem Titelkampf geht es immer um viel, manchmal um Sein oder nicht Sein«. Einen Rückkampf wird es aber wohl nicht geben, denn »das macht nur Sinn, wenn wir einen Käfig um den Ring bauen würden. Dann könnte Aurino nicht fliehen«.
Wichtiger ist dem Sauerland-Team jetzt, die »Bielefelder Perle« (Wegner) weiter Richtung Weltklasse zu bringen. Matchmaker Hagen Doering: »Marco ist jetzt beim IBF-Verband die Nummer drei. Damit hat er Chancen, Pflichtherausforderer zu werden. Aber auch bei der WBA könnte sich in den nächsten neun bis 18 Monaten etwas ergeben.« Allerdings wohl nicht gegen den Maske-Gegner Virgil Hill.
Der Sieger bemühte sich seinen ersten Titelgewinn zu genießen, was ihm nicht so ganz gelang. Wo er den EM-Gürtel deponieren wird, weiß er allerdings schon: »Den bekommen meine Eltern in Bielefeld.«

Artikel vom 18.12.2006