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David besiegt Goliath

Beamter zwingt Volkswagenkonzern zu Schadensersatz

Von Christian Althoff
Kalletal (WB). Ein Postbeamter aus Kalletal (Kreis Lippe) hat sich gegen den Volkswagenkonzern durchgesetzt und einen neuen Motor für einen acht Jahre alten VW Polo erstritten.

Reinhard Bokel (53) hatte vor sechs Jahren für seine Frau Angelika (53) einen zwei Jahre alten Polo gekauft. »Wir waren immer zufrieden mit dem Wagen«, sagt der Postbeamte. Bis der VW im Januar 2006 nach ein paar hundert Metern liegenblieb - Motorschaden beim Kilometerstand von 51 400. In der Werkstatt stellte sich heraus, dass ein seit Jahren bekannter Konstruktionsfehler der 1,0- und 1,4-Liter VW- und Seatmotoren zum Totalausfall geführt hatte: Durch die Winterkälte hatte sich über Nacht im Entlüftungsschlauch des Kurbelwellengehäuses Eis gebildet, das in den Ölkreislauf geraten war.
»3330,94 Euro musste ich für den neuen Motor bezahlen«, sagt Reinhard Bokel. Doch einer seiner Kollegen erinnerte sich daran, in einer Fachzeitung gelesen zu haben, dass sich VW in diesen Fällen kulant zeige. Deshalb schrieb Rechtsanwalt Arndt Schirneker-Reineke aus Bad Salzuflen VW an - zunächst ohne Erfolg. »Wir bekamen eine Standard-Absage, in der es hieß, für eine Gewährleistung sei der Wagen viel zu alt«, sagt der Anwalt. Er schrieb erneut nach Wolfsburg und verwies auf einen Fachartikel, in dem ein VW-Sprecher mit den Worten zitiert worden war, man übernehme die Regulierung der Eisschäden und trete auch nach zehn Jahren noch für Motorschäden ein. Arndt Schirneker-Reineke: »Diesmal teilte VW uns mit, dass die jährlichen Inspektionen nicht bei Volkswagen sondern in einer freien Werkstatt gemacht worden seien und man deshalb den Schaden nicht ersetzen könne.«
Damit gaben sich Reinhard Bokel und sein Anwalt aber nicht zufrieden. Schirneker-Reineke: »Das Problem ist Volkswagen und Seat seit Jahren bekannt. Aber es hat weder eine Rückrufaktion gegeben, noch hat man den Autobesitzern angeboten, den fraglichen Schlauch auf eigene Kosten gegen eine beheizten auswechseln zu lassen, um so einem Motorschaden vorzubeugen. Deshalb ist es auch völlig unerheblich, ob die Inspektionen bei VW oder in einer freien Werkstatt durchgeführt worden sind.«
Der Postbeamte, der rechtsschutzversichert ist, ließ Klage gegen Volkswagen einreichen. Am 17. Januar sollte der Fall vor dem Amtsgericht in Wolfsburg verhandelt werden, doch dazu kommt es nicht mehr: »Die Rechtsabteilung von VW rief an und sagte zu, alle Kosten zu übernehmen, wenn wir die Klage zurückziehen«, berichtet der Anwalt. Inzwischen hat Volkswagen das Geld für den neuen Motor an Reinhard Bokel überwiesen.
Der Anwalt nimmt an: »Die wollen keinen Präzedenzfall. Lieber reguliert Volkswagen den einen oder anderen Motorschaden, als Gefahr zu laufen, schlafende Hunde zu wecken und allen betroffenen Kunden den Schaden ersetzen zu müssen.«

Artikel vom 15.12.2006