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Mord hinter Gittern

Martyrium dauerte zwölf Stunden

Zwölf Stunden haben drei 17, 19 und 20 Jahre alte Häftlinge einen Mitinsassen (20) gequält und dann ermordet. Tatort war das Jugendgefängnis in Siegburg bei Bonn.


Einer der mutmaßlichen Täter gab an, sie wollten »einen Menschen sterben sehen«. Die Tat vom 11. November blieb lange unbemerkt, möglicherweise weil sie an einem Samstag begangen wurde, als das Personal wegen des Wochenendes reduziert war. »Der Mann ist geschlagen worden, er ist getreten worden, er musste Urin trinken und Erbrochenes essen. Es ist unfassbar«, sagte Oberstaatsanwalt Fred Apostel. Am Ende hätten die Beschuldigten drei Mal versucht, Hermann H. (20) aufzuhängen. Der Strick sei aber jedes Mal gerissen. Mit Bettlakenstreifen sei die Tat schließlich ausgeführt worden. Während der Quälerei gelang es dem Opfer ein Mal, einen Rufknopf zu drücken. Die Täter beteuerten aber über eine Sprechanlage, sie hätten den Schalter nur aus Versehen berührt. . .
Einer der mutmaßlichen Täter ist nach der Tat in die JVA Herford verlegt worden. Ralf A. (20) ist der älteste der drei Mordverdächtigen. Pascal (19) und Danny K. (17), wurden ebenfalls in unterschiedliche Gefängnisse gebracht. »Mein Mandant hat mitgemacht, um nicht selbst Opfer zu werden. Er war nicht der Rädelsführer, er ist keine Bestie«, sagte Rechtsanwalt Sebastian Holbeck aus Bonn. Ralf A. sei zwar der älteste der drei Häftlinge, aber »klein und schmächtig«.
Während sich Einbrecher und Drogentäter Ralf A. bei seiner Ankunft in der JVA Herford als unschuldig dargestellt und eher unbeeindruckt gewirkt haben soll, sagte sein Anwalt, der 20-Jährige sei »fix und fertig«: »Er hat nach der Tat tagelang geweint und konnte nicht fassen, welche Strafe ihm nun droht.« Dabei habe Ralf A. noch versucht, die anderen beiden Täter »zu beschwichtigen«.
Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) verteidigte die gemeinschaftliche Unterbringung junger Untersuchungshäftlinge. Falsch wäre es, alle Gefangenen in Einzelzellen unterzubringen, sagte Friedhelm Sanker aus Herford, Vize-Vorsitzender des NRW-Landesverbands. Zu Beginn der Haft seien junge Straftäter oft selbstmordgefährdet. Das NRW-Justizministerium hat in den vier NRW-Jugendgefängnissen Siegburg, Heinsberg, Iserlohn und Herford allerdings inzwischen die weitere Drei- oder Vierfachbelegung der Zellen untersagt.
Ein ehemaliger Gefängnispfarrer aus der Justizvollzugsanstalt Siegburg erhob schwere Vorwürfe gegen den inzwischen versetzten Leiter. »Die Gefangenen werden an den Wochenenden in ihren Subkulturen allein gelassen«, sagte Pastor Rudolf Hebeler. Der Anstaltsleiter trage für die Missstände in der JVA die Verantwortung.
Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern Konzepte, die eine Gefängnishaft verkürzen oder vermeiden. Vor Haftantritt müssten in jedem Einzelfall Alternativen zum Gefängnis geprüft werden. Vor allem Untersuchungshaft für junge Erwachsene sollte vermieden werden, sagte Sabine Bruns vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Die Landesregierung von NRW zog Konsequenzen: Im Landeshaushalt 2007 sollen 5,7 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für Sofortmaßnahmen im Justizvollzug bereitgestellt werden. Außerdem sollen 890 zusätzliche Haftplätze und 330 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Rücktrittsforderungen der Opposition wies NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) als »politisches Theater« zurück.

Artikel vom 30.12.2006