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»Das neue Oppositionsgeschäft
erwies sich auch für Hannelore Kraft
als nicht minder hartes Brot.«

Leitartikel
NRW-SPD irritiert

Kapitulation vor der
Rüttgers-Show


Von Reinhard Brockmann
Die Überraschung in der einst unangreifbar mächtigen Landes-SPD über den Rückzug ihres Vorsitzenden Jochen Dieckmann war echt. Selbst engste Weggefährten hatten nichts geahnt.
Möglicherweise war es der Lückenbüßer einfach leid, als blass und unbekannt gescholten zu werden. Denn tatsächlich war sein Auftrag als Landesvorsitzender in der Stunde Null nach der vernichtenden Niederlage im Mai 2005 genau so beschrieben. Von Anfang an war klar, dass Dieckmann keine Ambitionen auf mehr hegen sollte. Dieckmann war Parteisoldat und als eine Art politischer Beamter bestellt worden. Dass er sein Amt genau so ausübte, kann ihm nicht vorgeworfen werden.
So gesehen ist Hannelore Kraft auch nicht die Überraschungskandidatin des gestrigen Tages. Sie ritt als Fraktionsvorsitzende von vornherein die tagespolitische Attacke. Von ihr wurden die Angriffe auf die neue Rüttgers-Riege erwartet, und sie hat genau das in den zurückliegenden eineinhalb Jahren versucht. Von wenigen Einzelerfolgen abgesehen, erwies sich das Oppositionsgeschäft für sie als nicht minder hartes Brot.
Vor diesem Hintergrund musste die Landes-SPD erleben, wie die fortgesetzte »Rüttgers-Show« das öffentliche Interesse an der einst so großen NRW-SPD gegen Null tendieren ließ. Niemand im roten Lager konnte parieren, als sich der Christdemokrat noch am Wahlabend zum einzig wahren Arbeiterführer in NRW ausrief. Total unangreifbar wurde der CDU-Landes-Chef, als er über das Stichwort »Lebenslüge« im Sommer das eigene Lager anging. Mit leiser Merkel-Kritik und lautem Ruf nach mehr Gerechtigkeit münzte Rüttgers ein ur-sozialdemokratisches Thema auf die eigene Volkspartei um. Randbemerkungen aus der Sozialdemokratie gingen medial vollkommen unter.
Diese Hilflosigkeit dürfte zur Resignation des Jochen Dieckmann beigetragen haben. Dass auch Hannelore Kraft kein Rezept fand, um Gehör zu finden, sollte bei der Gesamtbetrachtung nicht übersehen werden.
In Ostwestfalen-Lippe stellt sich Anfang 2008 eine weitere Nachfolgefrage, wenn Bezirks-Sprecher Axel Horstmann, wie zu erwarten, nicht wieder antritt. Im Bemühen um Ruhe und Kontinuität in der auch OWL-spezifisch aufgerührten Partei (Fall Bünemann, kein einziger eigener Landrat) wird das Problem auf möglichst kleiner Flamme gekocht.
Dennoch wäre es keine große Überraschung, wenn der Bezirksvorsitz nicht auf einen der beiden starken SPD-Männer aus Bielefeld und Gütersloh fiele, sondern an die Paderborner Bundestagsabgeordnete Ute Berg. Im BundesVorstand, im Berliner Netzwerk der Reformer und als Mitautorin des Entwurfs für ein neues SPD-Grundsatzprogramm übt sie einflussreichere Parteiämter aus als jeder andere in der Region.
Die Erneuerung der SPD ist nicht abgeschlossen. Deshalb trägt bislang noch niemand das große Traumziel, 2010 wieder eine rot-grüne Landesregierung zu haben, im Brustton tiefster Überzeugung vor.

Artikel vom 13.12.2006